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Mit Worten an die Hand nehmen

Worte können trösten, Hoffnung geben und emotional unterstützen. Welche aber sind die richtigen? Hinweise für eine einfühlsame Kommunikation mit Angehörigen

Von Sabine Walther & Brigitte Teigeler.

Intensivstation Schwester führt Gespräch mit Angehörigen Trost durch Worte

Es ist ein Morgen im Dezember. Silke Weiß* und ihr Mann Tom haben frei. Er schläft noch. Als sie ihn hört, geht sie zu ihm. Er sagt etwas. Vielleicht: Guten Morgen. Was sie hört, ist Wortsalat. Sofort fahren sie ins Krankenhaus. Mit der Diagnose Durchblutungsstörung des Gehirns kommt Tom auf die Intensivstation. „Nach drei Tagen können Sie wieder runter“, heißt es. Doch es kommt anders. Tom geht es immer schlechter. Keiner weiß, warum. Silke sieht die ratlosen Blicke der Ärzt*innen und Pflegenden. Sie ist verzweifelt, will mit jemandem sprechen, will tröstende, hoffnungsvolle Worte und hetzt über die Station. „Im Stationszimmer war niemand. Ich kauerte mich davor und weinte. Eine Krankenschwester kam zu mir und sagte ‚Gehen Sie doch nach Hause’. Aber ich wollte auf keinen Fall weg“, sagt sie. „Ich wollte bei meinem Mann bleiben. Ich wollte einfach nur, dass es ihm bessergeht. Ich konnte nicht aufhören zu weinen, und die Schwester ist gegangen. Kurz darauf kam ein Pfleger, berührte mich sanft an der Schulter und sagte ‚Es ist in Ordnung, wenn Sie weinen. Bleiben Sie hier, bei Ihrem Mann.’ Ich war ihm so unendlich dankbar.“

Mit seinem einfühlsamen Verhalten, verständnisvollem Reagieren und dem Zuspruch, bei ihrem Mann zu bleiben, unterstützt der Pfleger Silke. Dieses Verhalten hilft vielen Angehörigen. Das muss man aber wissen. Gut Gemeintes kann verletzten und das Gegenteil von dem bewirken, was man beabsichtigt.

Richtiges kommunikatives Verhalten und professionell geführte Gespräche können die Situation Angehöriger auf einer Intensivstation positiv beeinflussen. Für spezielle Gesprächssituationen, etwa wenn absehbar ist, dass ein Patient sterben wird, bietet die Fachliteratur gute praktikable Informationen. Doch Gesprächskompetenz ist auch für kurze Wortwechsel wichtig.
 

Welche Worte helfen?

Die kommunikativen Wünsche der Angehörigen ähneln sich. Für viele ist es wichtig, Pflegende als verlässliche Ansprechpartner zu wissen. Das betont auch Silke Weiß. „Wir durften immer wieder Fragen stellen, ohne dass sie ungeduldig wurden.“

Um Angehörige mit Worten zu unterstützen, hilft es, sich ein paar Verhaltensweisen zu eigen zu machen (s. unten).

Tipps für den Gesprächsalltag mit Angehörigen auf einer Intensivstation

Verständlich informieren
Umfassend informieren
Gut gemeinte Ratschläge überdenken
Hoffnung zulassen
Patienten einbeziehen
Auf Ängste und Bitten reagieren

Verständlich informieren

Margot Lanz* hat ihren Mann bei zwei Intensivaufenthalten begleitet. Sie kritisiert „den Fachjargon, den die meisten sprechen“ und wünscht sich, „dass die Ärzte laiengerechter aufklären – und zwar in deutscher und nicht in lateinischer Sprache“.

Angehörige wollen nicht nur verständliche Erklärungen über Therapie und Krankheitsverlauf, sondern auch über die Station, die Betreuung und Pflege ihrer Liebsten.

Informationen können Halt und Hoffnung geben. So wie bei Stefan Maas*. Seine Frau ist nach zwei Wochen aus dem Koma aufgewacht und es scheint, als könne sie wieder nach Hause. Die Trachealkanüle werde sie noch länger benötigen, sagt man ihm. Deshalb lässt er sich von einer Pflegenden die Kanüle erklären. „Dafür hat sie eine Kanüle in ihre Einzelteile zerlegt. Das fand ich sehr gut. Nicht nur, weil ich gesehen habe, wie es geht, sondern, weil es mir eine Zukunft gezeigt hat, in der meine Frau lebt.“

Umfassend informieren

Silke Weiß fand es beruhigend, dass „die meisten Pflegenden und Ärzte sich viel Zeit nahmen, alles sehr genau und mehrmals erklärten“. Ist man psychisch sehr belastet, fällt es schwer, Gespräche zu führen und ihnen zu folgen, Erklärungen zu verstehen und sie zu behalten. Das erfordert es, manches mehrmals und ausführlich zu erklären und Angehörige zu ermuntern, Fragen zu stellen.

Gut gemeinte Ratschläge überdenken

„Machen Sie mal einen Tag Pause“, ist sicher einer der häufigsten Ratschläge, den Angehörige auf einer Intensivstation hören. So auch Stefan Maas. „Das war bestimmt nett gemeint. Ich empfand das aber nicht so. Ich hatte eher das Gefühl, ich störe sie mit meinen Gefühlen, dachte, sie wollen mich loswerden“, sagt er. So wie ihm geht es vielen Angehörigen. Sie wollen so nah wie möglich bei ihren Liebsten sein. Eigene Bedürfnisse erkennen sie nicht. Dass sie völlig übermüdet sind, sehen nur Außenstehende. Der gut gemeinte Rat, einen Tag Pause zu machen, widerspricht dem Wunsch, ihren Liebsten nah zu sein. Pausen sind aber auf andere Weise möglich. „Hätten Sie mir angeboten, eine Runde spazieren zu gehen und dann wiederzukommen, hätte ich das vielleicht angenommen“, sagt Stefan. „Alles andere wäre nicht denkbar gewesen. Ich wollte einfach immer so nah und so lang wie möglich bei meiner Frau sein.“

Angehörigen ein Getränk hinzustellen, vielleicht eine Kleinigkeit zu essen oder ihnen anzubieten, nahe der Klinik etwas zu essen und wiederzukommen, sind für viele leichter anzunehmen als der Rat, der Intensivstation fernzubleiben.

Hoffnung zulassen

Der Zustand von Tom Weiß bessert sich nicht. Silke und ihre Familie holen eine Zweitmeinung ein. Mit diesen Ergebnissen führen sie ein Gespräch mit der Stationsärztin und dem Chefarzt der Intensivstation. Silke erinnert sich an die Worte des Chefarztes: „Unser Kollege hat eine andere Diagnose gestellt. Für diese Diagnose gibt es leider keine Therapie“. Silke fragt den Chefarzt, was er machen würde, wenn anstelle ihres Mannes seine Frau dort liegen würde. „Die Hoffnung nicht aufgeben. Wir wissen noch so wenig über das menschliche Gehirn und unsere bisherige Therapie hat geholfen, dass Ihr Mann aufgewacht ist. Ich würde damit weitermachen.“ Nicht nur die Worte des Arztes helfen Silke, sondern auch wie er sie betont: „Er sagte das ganz ruhig, nicht drängend, mit sanfter Stimme. Er hat mir damit Hoffnung und Kraft gegeben.“

Der Arzt kommt einem zentralen Bedürfnis nach, das alle Angehörigen haben: Hoffen zu dürfen, unabhängig von der Krankheit. Das widerspricht dem Wunsch nach ehrlichen Informationen nur scheinbar. Hoffnung gibt Angehörigen Kraft, jeden Tag aufs Neue ihre Liebsten leiden zu sehen. Allerdings kann sich das, worauf Angehörige hoffen, im Verlauf der Krankheit ändern. Das erlebt auch Silke. Hat sie am Anfang gehofft, dass ihr Mann gesund wird, ändert sich das, je länger er auf der Intensivstation ist. Immer häufiger fragt sie sich, was möglich ist, damit er nicht leidet.

Patienten einbeziehen

Für die Angehörigen ist der Patient die wichtigste Person. Wie mit ihm gesprochen wird, wirkt sich auf sie aus. Silke Weiß empfindet es beruhigend, wie manche Mitarbeitende mit Tom sprechen. „Ich erinnere mich an eine Pflegende, die meinem Mann oft positive Feedbacks gab, ihn für das, was er machte, lobte.“ Vor allem, „dass sie sich ihm vorstellten, auch als er bewusstlos war“, habe ihr gezeigt, dass sie ihn als Menschen wahrnehmen. „Dass sie ihm erklärten, was sie taten, bevor sie es taten, dass sie ihm ins Gesicht sahen.“ Silke hat bei diesen Mitarbeitenden das Gefühl, dass sie ihren Mann respektieren und die Gewissheit, dass er bei ihnen in guten Händen ist.

Auf Ängste und Bitten reagieren

Tom ist eine Zeitlang sehr unruhig und zieht sich immer wieder Zugänge heraus. Silke hat große Angst, dass er sich auch das Tracheostoma rauszieht. Deshalb bittet sie immer darum, ihn zu fixieren, bevor sie nach Hause geht. „Darum bitten zu müssen, hat mich viel Kraft gekostet. Ihn, meinen Liebsten, angebunden zu wissen. Der Gedanke hat mich fast wahnsinnig gemacht, aber ebenso der Gedanke, dass er sich das Stoma herauszieht. Welche Schmerzen würde ihm das bereiten? Und würde er das überleben?“ Als sie vor dem Nachhause-Gehen wieder einmal darum bittet, ihn zu fixieren, sagt der Pfleger: „Das mach ich nicht. Dann zieht er sich eben die Kanüle raus. So schlimm ist das nicht. Dann stecken wir sie wieder rein.“ In großer Angst um Tom geht Silke nach Hause.

Welche Worte hätten Silke beruhigter nach Hause gehen lassen? Verständnis für ihre Angst wäre ein wichtiges Zeichen gewesen. Doch hat der Pfleger ihre Angst erkannt? Hat er verstanden, dass für Silke das Thema Fixierung eine andere Bedeutung hat als für ihn? Seine Worte ‚Wir stecken sie wieder rein’, sind Silke in schlechter Erinnerung. Ein Rohr, das aus einer Wand bricht, lässt sich einfach wieder reinstecken. Hier geht es aber um ihren Mann, der Schmerzen empfindet.

Trösten und unterstützen – auch über die Zeit der Intensivstation hinaus

Nach neun Wochen ist Tom gestorben. Fünf Jahre nach seinem Tod sind unzählige Bilder und Worte aus dieser Zeit immer noch sehr lebendig in Silkes Kopf. Auch die guten, tröstenden, lieben Worte und Blicke von Pflegenden und Ärzt*innen. Gern würde sie sich bei ihnen bedanken, etwa bei der Schwester, die dazu beigetragen hat, dass ihr Mann und sie sich verabschieden konnten: „Einmal kam ich, da war die Schwester gerade mit der Körperpflege fertig und sagte zu meinem Mann: ‚Jetzt haben Sie wieder einen frischen Geschmack im Mund und mit den frisch geputzten Zähnen können Sie Ihre Frau küssen.’ Dabei zwinkerte sie ihm zu und lächelte mich ganz lieb an“, erinnert Silke sich. „Bevor sie das Zimmer verließ, achtete sie darauf, dass mein Mann und ich uns erreichten. Wir haben uns geküsst, als wollten wir uns aneinander festhalten. Als würde der eine dem anderen alle Kraft und Liebe geben wollen, die in uns war. Als würden wir uns nie mehr trennen wollen. Es gab kein Krankenhaus, keine piepsenden Geräte, keine Krankheit – überhaupt keine andere Welt. Nur noch er und ich, wir beide als Eins. Bis ich keine Luft mehr bekam und das Gleichgewicht verlor. Eine Woche später ist er gestorben.“


*Alle Namen der Angehörigen und der Patient*innen wurden geändert.

Literatur erhalten Sie auf Anfrage bei den Autorinnen.

Brigitte Teigeler

Brigitte Teigeler, geb. 1969, lebt in Marburg. Sie ist Kinderkrankenschwester, Diplom-Pflegewirtin und Fachjournalistin und hat 15 Jahre als Redakteurin im Bibliomed-Verlag gearbeitet (u. a. für die Zeitschriften „Die Schwester Der Pfleger“ und „Pflegen Intensiv“). Seit 2018 ist sie freiberuflich als Journalistin tätig und gibt Seminare und Fortbildungen.
www.brigitte-teigeler.de

Dr. Sabine Walther

Dr. Sabine Walther, geb. 1963, lebt in Duisburg. Sie ist Krankenschwester und Sprachwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf Angewandter Gesprächsforschung und Kommunikation von Pflegenden. Sie arbeitet als Lehrerin für Deutsch als Fremd-/Zweitsprache, freie Lektorin und Dozentin, u. a. zur Kommunikation Pflegender.
https://www.lektorat-walther.de/