Neue Wege in ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben
Das Selbsthilfebuch „Neue Wege gehen“ verbindet die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) mit den körperbasierten Klopftechniken der Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie (PEP). ACT hilft dabei, innere Stressoren anzunehmen und die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken – für mehr Selbstwirksamkeit und ein erfüllteres Leben. Ergänzend dazu ermöglicht PEP, emotionale Blockaden effektiv zu lösen und nachhaltige Veränderungen anzustoßen. Wie beide Techniken funktionieren, wie sie verbunden werden und welche Möglichkeiten sich daraus ergeben, darüber haben wir mit den beiden Autoren Michael Waadt und Jan Nachtigall gesprochen.
In „Neue Wege gehen“ werden die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) und Klopftechniken von PEP, der Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie zusammengeführt. Könnten Sie beide Techniken kurz vorstellen?
Jan Nachtigall:
Die ACT, die Akzeptanz und Commitment-Therapie, ist eine wunderschöne, neuere Variante der kognitiven Verhaltenstherapie, die achtsamkeits- und wertebasiert ist. Es geht in der ACT darum, zu einem Leben zu finden, das sich lohnt, zu einem Leben, zu dem ich von Herzen ja sagen kann. Es geht nicht in erster Linie darum, Symptome zu reduzieren, obwohl dies mit der ACT genauso gut funktioniert wie mit der klassischen Verhaltenstherapie – mir ist wichtig, dies zu erwähnen. Eigentlich geht es aber in der ACT um etwas anderes: um ein gutes Leben, was auch immer jede*r darunter versteht. Die ACT will Menschen dabei begleiten und sie unterstützen, mit den dabei unter Umständen auftretenden schwierigen Gedanken und Gefühlen auf eine effektive Art umzugehen.
Michael Waadt:
Ich hab letztes Jahr auf der wissenschaftlichen Jahrestagung der AVM in Österreich in Graz einen Workshop gehalten, eine Einführung in die ACT und der hatte den Titel „Der sechsfache Pfad zum Glück“. Der zielt ab auf das Grundmodell der ACT, das ganz einfach ist. Es sind sechs Bereiche, wir in ACT nennen das die Kernprozesse. Es sind sechs Bereiche, die man auch als sechs Fertigkeiten verstehen kann und die sich auch einzeln trainieren lassen. Es ist wissenschaftlich gut abgesichert, dass wir, wenn wir genau diese sechs Fertigkeiten trainieren, unsere psychische Flexibilität steigern, d.h. unsere Fähigkeit, uns auch in schwierigen Situationen so zu verhalten, wie wir uns verhalten wollen. Wir steigern unsere Flexibilität und damit steigern wir im Endeffekt unsere Freiheit. Das ist für mich bei ACT immer das, was dahinter steckt: Es geht um Freiheit.
Jan Nachtigall:
Die PEP wurde von dem Hannoveraner Psychiater und Psychotherapeuten Michael Bohne entwickelt, es ist ein toller Werkzeugkoffer voller effektiver Methoden. Eine zentrale Methode von PEP ist die Technik zur emotionalen Selbstregulation, sie hilft dabei, besser mit belastenden oder schwierigen Gefühlen umzugehen. Durch Klopfakupressur werden bestimmte Punkte an Händen, Gesicht und Oberkörper stimuliert, während man sich gleichzeitig mit den belastenden Emotionen auseinandersetzt. Dabei geht es nicht darum, die Gefühle zu unterdrücken, sondern ihnen bewusst Raum zu geben.
Diese Technik ist ein hochwirksames Werkzeug im Umgang mit emotionalen Belastungen, mit schwierigen Gefühlen. Doch PEP bietet noch viel mehr. Es beinhaltet unter anderem ein Selbstwerttraining – dem auch in unserem Buch ein eigener Abschnitt gewidmet ist – sowie Methoden zur Auflösung innerer Blockaden, wenn man das Gefühl hat, im Leben festzustecken oder nicht weiterzukommen.
Michael Waadt:
Was vielleicht an der Stelle noch wichtig ist zu ergänzen: PEP ist eine Weiterentwicklung der sogenannten energetischen Psychologie. Da ging man ursprünglich – ähnlich wie in der traditionellen chinesischen Medizin – davon aus, dass alles mit dem Meridiansystem im Körper zusammenhängt und dass es um den Energiefluss geht. Ziel war es, das Meridiansystem mit bestimmten Techniken zu beeinflussen, sodass die Energie wieder frei fließen kann. Das ist aus unserer westlichen Sichtweise allerdings schwer nachzuvollziehen. Und genau da hat Michael Bohne mit PEP einen großen Schritt gemacht: Er hat das Ganze quasi vom Kopf auf die Füße gestellt – also neu gedacht und auf eine fundierte, nachvollziehbare Basis gestellt. Auch wenn immer noch nicht endgültig geklärt ist, wie und warum das Klopfen funktioniert, so gibt es mittlerweile eine Reihe überzeugender Erklärungsmodelle dafür, die mit dem vereinbar sind, was wir aus der modernen Hirnforschung wissen. Und dass es funktioniert, ist ohnehin ziemlich gut belegt.
Das ist eigentlich das Schöne an PEP: Hier wurde eine einfache Methode weiterentwickelt – oder vielleicht sogar wiederbelebt –, die nicht nur alltagstauglich ist, sondern sich auch wissenschaftlich abbilden lässt und dabei unglaublich effektiv ist, wie Jan eben auch schon gesagt hat.
Wie kam es zu der Idee, ACT und PEP zu kombinieren? Welche Rolle hat dabei das Choice-Point-Modell?
Michael Waadt:
Man muss ja sagen, dass Jan und ich so ein bisschen Fortbildungsjunkies sind. Wenn wir über etwas Interessantes stolpern, müssen wir immer gleich nachrecherchieren, Bücher kaufen, Videos gucken und Kurse besuchen. ACT kam bei mir viel früher, dann bin ich auch auf PEP gestoßen. Alles, was wir so kennenlernen, muss sich aber in der Praxis bewähren. Wir arbeiten mit verschiedenen Methoden und Verfahren und es gibt welche, die sich bewähren, die man immer wieder anwendet, und die ergeben dann mit der Zeit ein organisches Ganzes. PEP war eine neue Technik, die ich immer wieder angewandt habe und mit der ich wunderbare Erfolge erzielt habe. Mir war es dann wichtig, ACT und PEP auch konzeptionell zusammen zu bringen, was über das Choice-Point-Modell von Russ Harris sehr überzeugend möglich ist. Und dann haben wir uns entschlossen, ein Buch zu schreiben, damit das auch für andere nachvollziehbar und anwendbar ist.
Jan Nachtigall:
Ich bin auf beide Verfahren ungefähr zu selben Zeit gestoßen und fand von Anfang an die Idee, beide Verfahren zu kombinieren, sehr spannend. Ich probiere alles erst einmal an mir selbst aus, da muss es funktionieren und beide Verfahren hatten bei mir einen echten „Wow!“-Effekt. Bei mir liefen dann beide Verfahren zunächst parallel, bis Michael auf die tolle Idee kam, ACT und PEP über das Choice-Point-Modell zu verbinden.
Ein Kapitel im Buch heißt treffend: „Warum ist das mit den Gefühlen so kompliziert?“ Was ist es denn, was uns daran hindert, unser Leben nach unseren Werten und selbstbestimmt zu führen?
Jan Nachtigall:
Hier zu meinen Füßen liegt mein Hund Oscar, der auch eine Erwähnung im Buch hat. Das beginnt damit, dass ich Oscar damals sein Geschirr umgebunden habe, als er noch ein kleiner Welpe war. Es gefiel ihm gar nicht und er ist wie ein Verrückter durch die Wohnung gerannt, um sein Geschirr loszuwerden. Wir Menschen haben häufig ähnliche Impulse, wenn es um die unangenehmen Gefühle geht. Gefühle wie Trauer, Scham wollen wir nicht haben und haben auch häufig eine Neigung dazu, ineffektiv zu reagieren – denn Oscar war leider nicht erfolgreich. Der ist ja sein Geschirr nicht losgeworden, so sehr er auch durch die Wohnung rannte. So kann es auch uns passieren, dass wir in ungünstige Verhaltensmuster verfallen angesichts schwieriger Emotionen. Wir lernen nicht, wie man gut mit schwierigen Gefühlen umgeht. Wir machen häufig Sachen, die uns nicht weiterbringen und immer mehr von dem, was uns eigentlich wichtig ist, entfernen.
Michael Waadt:
Grundsätzlich ist es ja ziemlich simpel: Es gibt Gefühle, die mögen wir – und es gibt Gefühle, die mögen wir nicht. Und gerade bei den unangenehmen Gefühlen setzt ganz automatisch der Impuls ein, sie irgendwie loszuwerden oder zu kontrollieren. Das ist erst mal total nachvollziehbar. Die Intention ist: Wie können wir mehr von den guten Gefühlen erleben? Und wie können wir die unangenehmen möglichst vermeiden, ausblenden oder kontrollieren?
Wir versuchen dann entweder, die inneren Gefühle direkt zu steuern, oder wir versuchen, die äußeren Umstände so zu beeinflussen, dass diese Gefühle gar nicht erst auftauchen. Beides klingt erst mal vernünftig. Das Problem ist nur: Es funktioniert leider nicht. Gefühle entstehen nämlich auf einer anderen Ebene im Gehirn, nämlich im sogenannten Zwischenhirn. Dort sind über unsere Lebenserfahrung viele emotionale Reaktionsmuster abgespeichert – weitgehend unbewusst. Das heißt: Wir haben oft gar keinen direkten Zugriff darauf. Und je mehr wir versuchen, diese ungewollten Gefühle willentlich zu kontrollieren, desto eher geraten wir in einen Teufelskreis. Der innere Kampf gegen die Gefühle wird dann selbst zur Belastung – und manchmal sogar zum eigentlichen Problem.
Aus diesem Kreislauf auszubrechen, ist ein zentrales Anliegen – sowohl in der ACT als auch in der PEP.
Die eigenen Gefühle in Worte zu fassen, fällt manchen Menschen extrem schwer, was kann hierbei helfen?
Jan Nachtigall:
Wir haben häufig keine Begrifflichkeiten. Die brauchen wir aber zunächst, um eine Sprache zu haben für unsere Emotionen. Die Emotionen sind ja da, sie sind angeboren, Gefühle wie Angst, Traurigkeit. Aber wenn ich nur spüre, es ist unangenehm und nicht weiß, womit ich es zu tun habe, ist das ungünstig. Deswegen stellen wir im Buch auch ein Modell vor, das ist der Emotionsstern von Harlich Stavemann. Er bringt Gefühle, wie ich finde, in eine sehr überschaubare und praktische Ordnung. Dass wir Namen haben für diese Räume in uns, ist ganz wichtig, denn häufig sind sie handhabbarer, wenn wir sie benennen können. Eine Begrifflichkeit zu haben, hilft in der Regel schon, eine gewisse Distanz zu der Emotion aufzubauen, sodass sie nicht mehr so viel Macht über uns hat. Ich habe es oft erlebt, dass so ein Gefühl, wenn wir es treffend benennen, auch ein Stück gehen kann.
Michael Waadt:
Und man muss, denke ich, dazusagen, dass die Entwicklung eines differenzierten Vokabulars für Gefühle sozusagen die Kür ist. Der erste Schritt ist zunächst von dem Versuch wegzukommen, sie zu unterdrücken. Das Benennen kann dabei, wie Jan schon sagt, wahnsinnig hilfreich sein. Im Englischen sagt man ja auch: „Name it to tame it“. Uns genügen in der therapeutischen Arbeit oft erst einmal ganz einfache Benennungen – und sei es, dass jemand sagt: Das ist ein „Umpf“-Gefühl. Dann schreibt man das auf und kann damit arbeiten. Und kann sagen: Wenn es das nächste Mal kommt, dieses „Umpf“-Gefühl, dann sei neugierig, wende dich ihm zu! Das ist der erste entscheidende Schritt. Von da aus kommen wir zu einer immer differenzierteren Ausdrucksweise. Das ist dann ein bisschen wie bei einem Sommelier, der 1000 Begriffe hat für das Bouquet eines Weines. Je differenzierter wir die Dinge wahrnehmen können und benennen können – das hängt ja wechselseitig zusammen – umso größer wird sozusagen der Weingenuss. Und umso mehr können wir durch Gefühle Buntheit in unser Leben bringen, und zwar durch alle Gefühle, nicht nur die, die wir gerade mögen, sondern auch sozusagen durch gewisse Bitterstoffe, die aber für das gesamte Bouquet wichtig sind.
Sehr eingängig und bildhaft beschreiben Sie, wie wir uns in negativen Gedanken verstricken, viele von uns kennen sicherlich dieses Gefühl. Wie kann man damit am besten umgehen?
Jan Nachtigall:
Ja, hier schlägt die große Stunde der sogenannten Defusionstechniken. Das ist das, was die ACT berühmt gemacht hat. In unserem Buch werden ganz viele Techniken beschrieben, um einen Abstand zu schaffen zu belastenden Gedanken. Z.B. singen wir einen schwierigen Gedanken zur Melodie von „Happy Birthday to you“. Der Gedanke bleibt derselbe – z.B. „Ich bin nicht gut genug“ – aber durch den kleinen Dreh, den wir da machen, verliert er den Schrecken. Wir ziehen ihm sozusagen den Stecker. Das ist nur ein Beispiel für viele verschiedene Techniken, die beschrieben werden.
Michael Waadt:
Wichtig ist: Ganz oft ist es nicht sinnvoll, sich zu fragen: Sind diese Gedanken richtig oder falsch? Oder anzufangen, mit dem eigenen Verstand zu diskutieren, ob eine bestimmte Sorge berechtigt ist oder nicht. Denn genau da rutschen wir ganz schnell in eine Gedankenschleife. Unser Verstand meldet sich dann und sagt: „Moment mal, das ist doch wirklich ein ernstes Problem!“ Oder: „eine riesige Ungerechtigkeit“, „eine Unverschämtheit“ … Und das Gemeine ist: Der Verstand hat damit oft sogar recht. Aber trotzdem bringt uns dieses ständige Kreisen darum nicht weiter.
In der klassischen kognitiven Verhaltenstherapie verfolgt man ja oft genau diese Strategie: Lass uns doch mal überprüfen, ob sich der Gedanke, an dem du leidest, überhaupt in der Wirklichkeit wiederfindet und bestätigen lässt. Und wenn man dann feststellt, dass der Gedanke gar nicht stimmt, denkt man, jetzt ist alles gut. Blöderweise funktioniert das ganz oft nicht. Es ist trotzdem nicht gut. Und genau deshalb geht ACT, also die Akzeptanz- und Commitment-Therapie, einen anderen Weg. Da geht es nicht so sehr darum, ob ein Gedanke richtig ist, sondern darum: Ist dieser Gedanke hilfreich für ein gutes Leben? Und wenn er das nicht ist, dann schauen wir, wie wir mit ihm umgehen können – so, dass er uns nicht blockiert. Zum Beispiel, indem wir ihn mitnehmen wie einen Luftballon, oder in die Tasche stecken, ohne dass er uns belastet.
Noch mal – das ist wirklich ein wichtiger Punkt: Die normale, logische Herangehensweise funktioniert bei solchen inneren Prozessen meistens nicht. Ich sage meinen Patient*innen deshalb gerne: Das ist eine Entscheidung, die man für sich treffen muss: Willst du recht haben – unser Verstand will ja immer recht haben –, oder willst du glücklich sein? Und wenn du glücklich sein willst, schau, welche Gedanken dabei hilfreich sind und welche nicht.
Welche Möglichkeit bietet hier PEP?
Jan Nachtigall:
Hier haben wir im Buch mehrere von PEP inspirierte Entschärfungstechniken: Eine wichtige Rolle spielt z.B. das Kurbeln, das ist eine körperbezogene Technik, wo wir einen vielleicht sehr belastenden Gedanken noch etwas erweitern, ummanteln. Also z.B. den Gedanken: „Ich bin nicht gut genug“. Das würde man z.B. fassen in: „Auch wenn ich den Gedanken habe, dass ich nicht gut genug bin, kann ich freundlich zu mir sein“. Dazu wird dann in einer kreisenden Bewegung „gekurbelt“, etwa so wie hier zu sehen. Auch das nimmt dem Gedanken den Schrecken. Das ist im Grunde eine Defusionstechnik, auch wenn die PEP das anders benennen würde.
Wir zeigen noch eine andere durch PEP inspirierte Defusionstechnik. Dabei geht es um das Klopfen der Akupressurpunkte und dabei sprechen wir den belastenden Gedanken laut aus und schauen, ob es dabei Punkte gibt, wo es leichter wird. Es gibt natürlich noch viele andere Techniken im Buch.
Michael Waadt:
Ich möchte noch ergänzen, dass PEP nicht nur Klopfen ist, es ist mehr, es ist ein ziemlich geniales Instrument zur Komplexitätsreduktion. Michael Bohne hat z.B. mit den Big Five Lösungsblockaden eine Schematik entworfen, mit der etwa 90% aller Kognitionen, die immer wieder Probleme machen, abgedeckt sind. Damit hat er eine Ordnung geschaffen und gibt dann noch Techniken an die Hand, mit diesen Gedanken bzw. Beziehungsmustern umzugehen, sie zu entschärfen. Man muss auch sagen, es macht ziemlich viel Spaß, auf diese Weise damit zu arbeiten.
Jan Nachtigall:
Man entwickelt mit Patient*innen auch durchaus eigene Defusionstechniken, die sich im Laufe der Therapie entwickeln, da entstehen ganz tolle Ideen. Einige davon haben wir auch ins Buch aufgenommen.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind Ressourcen, also das, was hilft, seinen eigenen Werten zu folgen. Dazu müssen die eigenen Werte erst einmal klar sein. Wie kann man sich die eigenen Wertvorstellungen bewusst machen
Jan Nachtigall:
Unsere Gefühle sind da ein guter Zugang, sowohl die angenehmen wie auch die unangenehmen. Vor allem das Gefühl von Lebendigkeit, da schaue ich immer bei den Patient*innen, wo gibt es z.B. ein Funkeln in den Augen. Gefühle sind ein guter Zugang zu Werten, aber auch z.B. Vorbilder können gut aufzeigen, was uns wichtig ist, was ein Wert für uns ist.
Michael Waadt:
In der Therapie kann man ja sehr gut sehen, wie Patient*innen reagieren. Das können ganz kleine Dinge sein, eine Änderung in der Mimik, ein Leuchten in den Augen, ein leichtes Aufrichten des Oberkörpers. Man merkt, etwas ist anders – und dem kann man dann nachgehen. Unser Buch ist ein Selbsthilfebuch. Daher haben wir versucht, eine Anleitung zu geben, wie man diese Sensibilität für sich selbst entwickeln kann. Das ist tatsächlich enorm wichtig. Es beginnt damit, ein Gespür für das eigene Körperempfinden zu entwickeln – denn wir können uns in dem, was wir verstandesmäßig für wichtig halten, durchaus täuschen. Viele Menschen sagen z.B. auf die Frage, was ihnen wichtig ist: „Für andere da sein“. Das haben sie gelernt, das gibt ihnen das Gefühl, überhaupt eine Existenzberechtigung zu haben. Sie stellen sich selbst zurück, um anderen zu helfen. Das ist erst mal wunderschön! Aber oft ist das keine echte innere Überzeugung, sondern eine Überlebensstrategie. Wenn man genau hinhört, spürt man: Da stimmt etwas nicht.
Der Weg zur Sensibilität für die echten, authentischen Werte führt über die Frage: In welchen Momenten fühlt sich etwas weit, leicht und stimmig an – und wann eng, getrieben oder belastend? Wenn Menschen lernen, diesen Unterschied wahrzunehmen, entsteht ein innerer Kompass. Er zeigt, was das eigene Leben wirklich reich und sinnvoll macht – und wo es vielleicht Zeit ist, umzusteuern. Dafür geben wir im Buch auch Übungen an die Hand. Viele Menschen haben tatsächlich vorher nie darüber nachgedacht, was ihnen wirklich wichtig ist.
Sie betonen die Wichtigkeit eines guten Selbstwertgefühls. Wie lässt sich dieses trainieren?
Jan Nachtigall:
Da haben wir das große Glück, das PEP-Selbstwerttraining anbieten zu können im Buch. Da zeigen wir, wie man das Selbstwertgefühl effektiv stärken kann. Es geht erst einmal darum zu schauen, was macht mein Selbstwertgefühl in bestimmten Situationen klein, welche Gedanken, welche Verhaltensweisen zeige ich da? Wir nutzen das PEP-Instrumentarium, um diese Selbstwerträuber zu entschärfen. Im nächsten Schritt geht es darum, Selbstwertspender zu entwickeln, also selbstwertstärkende Kraftsätze, die an die Stelle der Selbstwerträuber treten können. Das ist eine wunderbare, kreative Arbeit.
Michael Waadt:
Das Ziel ist, neue semantische Netzwerke zu etablieren. Kognitionen bilden ja Netzwerke, und ganz oft sind wir in Netzen aus alten, destruktiven Sätzen gefangen: „Ich bin nicht gut genug“, „ich darf niemanden enttäuschen“ usw. Wir versuchen, über diese Technik neue Netzwerke zu implementieren, die dann auch selbst wachsen. Das können manchmal ganz einfache Dinge sein, etwa sich zu sagen: „Ab sofort entscheide ich selbst, was ich perfekt machen will und was nicht“ oder „Wer mich nicht gut findet, gehört nicht zu meiner Zielgruppe“. Und da kommt auch wieder der Körper ins Spiel. Man kann spüren, ob diese neuen kognitiven Samen, die wir da setzen, stimmig sind und das Potenzial haben, aufzugehen und zu wachsen
Was haben Sie für Ihr eigenes Leben mitgenommen aus der Beschäftigung mit ACT und PEP? Was möchten Sie gern weitergeben an die Leser*innen?
Jan Nachtigall:
Für mich ist es tatsächlich diese enorme Kraft der Akzeptanz, die Erkenntnis, dass es wirklich normal ist, unangenehme Gedanken oder unangenehme Gefühle zu haben und dass es um den Umgang mit ihnen geht. Ich muss mich dafür nicht schämen, es ist normal, mein Gehirn macht seinen Job. Das war für mich das Stärkste in der ACT. Und in der PEP: Wir können unseren Erinnerungen, die möglicherweise machtvoll und negativ auf uns einwirken in unserem Hier und Heute, ein emotionales Update verpassen, das ist für mich immer wieder faszinierend, für mich selbst oder auch in der Arbeit mit Patient*innen. Das sind zwei Aspekte, die ich besonders wichtig finde und die mich auch nachhaltig begeistern für beide Verfahren.
Michael Waadt:
Für mich war insbesondere die ACT sehr wichtig, denn mein Leben war insgesamt nicht sehr gradlinig. Das ging schon damit los, dass ich ganz unterschiedliche Sachen studiert habe, beruflich ganz viele Dinge ausprobiert habe, durchaus auch erfolgreich – aber es war nie das, wo ich mich wirklich zu Hause gefühlt habe. Ich hatte immer das Gefühl, irgendwie Außenseiter zu sein und nicht dazu zu gehören. Das hat sich bis zu einer sozialen Phobie entwickelt und es war da ein Gefühl der Orientierungslosigkeit. Dabei hat mir tatsächlich die ACT wahnsinnig geholfen, weil sie ein Instrumentarium verschafft, die Dinge anders zu sehen. Es tauchen ja ständig Gedanken und Gefühle auf, schöne und schlimme, die nicht unter meiner Kontrolle stehen. Ich bin aber nicht machtlos. Die ACT zeigt mir, wie ich diese Gedanken und Gefühle wahrnehmen und mich zu ihnen verhalten kann, und auf diese Weise gelange ich zu mir selbst. Ich werde so wirklich zum Autor und Gestalter meines Lebens. Und ich werde mir meiner selbst bewusst. Das ist etwas ganz Entscheidendes. Ich habe immer wieder erlebt, dass die ACT eine Haltung ist, die ein Leben mit viel Kraft, Zuversicht und Leichtigkeit ermöglicht. Es ist mir schon lange ein Anliegen, das auch weiterzugeben.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Waadt
Michael Waadt ist Philosoph, Verhaltenstherapeut, Trainer, Dozent und leitet in München das insas Institut für Arbeit und seelische Gesundheit. Mit PEP arbeitet er jetzt seit einigen Jahren, mit der ACT schon seit sie Anfang des Jahrtausends anfing, in Deutschland Fuß zu fassen. Auch persönlich hat ihm die ACT geholfen, trotz mancher Irrungen, Ängste und Zweifel seinen ganz eigenen Weg zu gehen. Das möchte er mit seinen Kursen und seinen Büchern gerne an andere weitergeben.
Jan Nachtigall
Jan Nachtigall, Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Langjährige und kontinuierliche Weiterbildung in ACT, PEP und EMDR. Seit 2021 Dozent für ACT am Norddeutschen Institut für Verhaltenstherapie. Mehrjährige Erfahrung als Psychologe in einer Betreuungseinrichtung für psychisch kranke Menschen, in der Akutpsychiatrie, der psychiatrischen Tagesklinik und in psychosomatischer Rehaklinik. Seit 2020 leite ich eine eigene psychotherapeutische Praxis und biete daneben Gruppen zur Nachsorge nach psychosomatischer Rehabilitation an.
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