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Pflege von LGBTQ+-Personen

2022 erschien das Fachbuch „Fast Facts about LGBTQ+ Care for Nurses“, geschrieben von dem US-amerikanischen Pflegeprofessor Tyler Traister. Sein Anliegen war und ist es, dass alle Pflege- und Gesundheitsberufe ein gemeinsames Verständnis für die Bedarfe und Bedürfnisse von LGBTQ+-Personen und ihrem Umfeld entwickeln und dies in pflegerisches Handeln und die Gestaltung organisationaler Strukturen und Prozesse umsetzen. Dr. Kathrin Kürsten, Mitherausgeberin der deutschen Ausgabe „Pflege von LGBTQ+-Personen“ stellt in ihrem Beitrag das Buch vor und macht deutlich, warum es eine wichtige Lücke schließt.

Pflege von queeren Menschen LGBTQ+ Hand mit Handschu und Regenbogenherz Bild shutterstock / G.Tbov

Von Dr. Kathrin Kürsten.

Zunächst mag man sich die Frage stellen, warum es eines solchen Buches bedarf. Sind nicht-heteronormative Menschen tatsächlich anders als andere beziehungsweise unterscheiden sich deren Bedürfnisse von denen der normativen Mehrheit? Um diese Fragen zu beantworten, ist ein Exkurs erforderlich, der an dieser Stelle nur sehr kurz ausfallen kann.

Diskriminierung und Stigmatisierung von Minderheiten

Personen, die nicht der Mehrheit entsprechen – und sei es nur in einem Merkmal – werden stigmatisiert, weil sie nicht den normativen Erwartungshaltungen entsprechen. Werden Menschen mit einem Stigma versehen, erfolgt Diskriminierung. Diskriminierung eines Individuums, aufgrund der „Andersartigkeit“, kann in vielen Bereichen des Lebens stattfinden. Ob nun im Familien- oder Freundeskreis, im Rahmen der Rechtsprechung oder institutionell, aber auch und ganz besonders im alltäglichen Miteinander. Kommt es in einer sozialen Interaktion zu Missachtung (zum Beispiel durch Beleidigungen), erfolgt eine Verletzung der Würde, wodurch das Selbstwertgefühl der betroffenen Person potenziell Schaden nimmt. Die Missachtung muss nicht bewusst oder offensiv geschehen. So sind bereits die Verwendung von falschen Personalpronomen oder ein nicht reflektiertes Stereotyp Mikroaggressionen, die in der Summe sehr belastend sein können. Hinzu kommt, dass Menschen, die einer Minderheit angehören, einem stetigen Stress ausgesetzt sind (ca. 8-10% der Bevölkerung identifizieren sich als LGBTQ+). Der Stress muss dabei nicht objektiv vorhanden sein, allein die Angst diskriminiert zu werden, löst subjektiv bereits Stress aus.

Diskriminierung und Missachtung im Gesundheitswesen

Diskriminierung und Missachtung erleben LGBTQ+-Personen im Laufe ihres Daseins in unterschiedlich starker Ausprägung in allen Bereichen des Lebens, so auch im Gesundheitswesen. Wo doch gerade in einer sehr vulnerablen Situation Menschen ganz besonders auf die Achtsamkeit anderer angewiesen sind. Dies gilt sowohl für Krankenhäuser als auch für Ärzt*innenpraxen, ambulante Pflegedienste, Einrichtungen der Tagespflege, der stationären Langzeitpflege und so weiter. Was fühlt beispielsweise ein schwuler Cis-Mann, wenn er bei der Blutabnahme gesagt bekommt: „Sie sind schwul? Dann müssen wir auch auf HIV testen.“ An dieser Stelle ist Bildung und Sensibilisierung der Beteiligten von maßgeblicher Bedeutung. Insbesondere für Pflegende, die ein ganzheitliches Verständnis von Pflege haben oder haben sollten. 

Pflegende sollten den Umgang mit nicht-heteronorm lebenden Menschen lernen

Das vorgestellte Buch hat zum Ziel, Pflegende, ungeachtet ob bereits als Fachpersonen tätig oder noch in der (Aus-)bildung, zur personzentrierten Pflege von Menschen, die nicht-heteronorm leben/lieben, zu befähigen. Zusätzlich werden sowohl Personen, die in Fort- und Weiterbildung beschäftigt sind als auch Pflegepädagog*innen angesprochen; denn Traister bietet neben reinen Informationen auch mögliche Praxisbeispiele für Lehrende, die sich dem Thema widmen möchten. Für Deutschland bietet der §53 des Pflegeberufegesetzes beziehungsweise die entsprechenden Rahmenpläne den dafür notwendigen Raum. So bietet beispielsweise die Curriculare Einheit 09 die Option, dass sich die Auszubildenden mit Diskriminierungserfahrungen, Minderheitenstress und Stigma-Management von LGBTQ+-Personen reflektierend auseinandersetzen.

Da für die Zukunft angenommen wird, dass zunehmend mehr Menschen ihre sexuelle Orientierung und/oder geschlechtliche Identität offen leben und dies auch im Alter tun werden, ist es nicht nur für Pflegende und Pädagog*innen unerlässlich, sich mit dem Thema auseinandersetzen. Auch Pflegemanager*innen insbesondere in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege, sollten sich dessen bewusst sein, dass out lebende LGBTQ+-Personen Kund*innen in ihren Einrichtungen werden. Sich offen für diese Personengruppe zu präsentieren, ist eine managerielle Aufgabe, die neben einer rein menschlichen Perspektive durchaus unter anderem auch als wirtschaftlicher Faktor gesehen oder als positiver Punkt für die Akquise neuer Mitarbeitender verstanden werden kann . Dass man selbst entsprechende Kenntnisse hat - die vom vorgestellten Fachbuch vermittelt werden - und die Notwendigkeit von Fort-/ und Weiterbildung der Mitarbeitenden erkennt, ist dafür grundlegend.

Das Buch „Pflege von LGBTQ+-Personen“

Tyler Traister gibt mit seinem vielseitigen Buch, das 2022 mit dem American Journal of Nursing, Book of the Year Award ausgezeichnet wurde, einen gelungenen Überblick über das Thema Pflege von LGBTQ+-Personen. Es bleibt an einigen Stellen jedoch nicht nur bei einem Überblick, sondern es findet eine Vertiefung der Inhalte statt. Wichtig zu wissen ist, dass sich das Werk auf US-amerikanische Gegebenheiten konzentriert, was auch an manchen der anschaulichen Praxisbeispiele deutlich wird. Dies kann jedoch durchaus auch als Horizonterweiterung verstanden werden, wenn man über den heimischen Tellerrand schaut. Zur Vervollständigung haben die Herausgebenden Beiträge eingefügt, die sie für den deutschsprachigen Raum für bedeutsam erachten. Das Buch ist in vier Teile mit insgesamt 19 Kapiteln untergliedert, nach jedem Kapitel finden die Lesenden Angaben zu weiterführender Literatur.

Aufbau des Buches

Teil 1 „LGBTQ+ verstehen“
Teil 1 „LGBTQ+ verstehen“ gibt zum Einstieg eine Einführung in das Akronym LGBTQ+ und liefert weitere Definitionen. Anschließend erfahren Lesende Interessantes und für das Verständnis nötige Wissen zum geschichtlichen Hintergrund. Hier hat die deutsche Herausgebende einen Exkurs eingefügt, der sich mit der deutschen Geschichte, inklusive des Strafrechtes (§175) und dem Nationalsozialismus, beschäftigt. Es folgt eine Einführung zum Unterschied zwischen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, woran sich eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Notwendigkeit von kultureller Kompetenz in der Pflege von LGBTQ+-Personen anschließt. Hierbei gibt Traister sehr praxisnahe Beispiele.

Teil 2 „LGBTQ+ Gesundheit“
In Teil 2 „LGBTQ+ Gesundheit“ geht der Autor nun auf die Spezifika, die sich auf LGBTQ+-Personen im Vergleich zur heteronormativen Mehrheit ergeben, ein. Hierbei geht es auch um gesundheitliche Ungleichen, Stigmatisierung und Diskriminierung, Substanzenkonsum und Substanzkonsumstörungen sowie das Gesundheitsverhalten von LGBTQ+-Personen. Zum Abschluss findet sich ein Exkurs zur gesundheitlichen Situation von LGBTQ+-Personen in der Schweiz.

Teil 3 „Pflegerische Versorgung und Implikationen“
Teil 3 setzt sich mit „Pflegerische[r] Versorgung und Implikationen“ auseinander. Dabei geht Traister jedoch nicht weiter auf Besonderheiten der Gruppe, sondern unter anderem auf die Selbstwahrnehmung und die mögliche Voreingenommenheit der Pflegenden selbst ein. So stellt der Autor einen Fragebogen zur Verfügung, den die Lesenden gleichsam „an sich selbst“ ausprobieren können. Im weiteren Verlauf werden Aspekte wie Kommunikation betont, aber auch Anregungen gegeben, wie eine Anamnese und der Ablauf von körperlichen Untersuchungen angemessen angepasst werden könnten. Von besonderer Bedeutung ist der Abschnitt, der sich mit Transgender Gesundheit und Pflege beschäftigt. Hinzu kommen Themenfelder wie Hormontherapie, nicht-heteronormative Kinder und Jugendliche, aber auch erwachsene und ältere LGBTQ+-Menschen.

Teil 4 „Ressourcen für Pflegende und Gesundheitsorganisationen“
Teil 4, der das Buch abschließt, beschreibt „Ressourcen für Pflegende und Gesundheitsorganisationen“. Hier werden weitere praxisrelevante, allerdings Patient*innen/ Bewohner*innen/ Klient*innen-ferne Elemente der Pflege beschrieben. Hierzu zählen die inklusive Umgebungsgestaltung, Interessenvertretungen, Richtlinien und Rechtsfragen sowie der Gesundheits- und Gleichstellungsindex (Human Rights Campaign and Healthcare Equality Index). Für Pflegepädagog*innen und für in der Fort-/ Weiterbildung Tätige ist das 19. und letzte Kapitel von besonderem Interesse: „LGBTQ-Inhalte entwickeln und lehren“.

 

Das Ziel: Qualitativ hochwertige und personzentrierte Pflege für alle

In der eigenen Forschung der deutschen Herausgeberin konnte herausgestellt werden, dass LGBTQ+-Personen im Laufe ihres Lebens gegen Diskriminierungen, Stress und weiteren Ungleichheitskategorien im Sinne der Intersektionalität ein Mindestmaß an Resilienz und Copingstrategien entwickeln bzw. entwickeln müssen. Hinzu kommt die Unterstützung der Community, aber auch der sogenannten straight allies, um den bereits erwähnten potenziellen Würdeverlust mit einhergehendem gemindertem Selbstwertgefühl auszugleichen und so ein gelingendes Leben führen zu können. Sollten die betreffenden Personen nun in eine Situation geraten, in der Sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind, sie also selbst nicht mehr für ihre eigenen Belange einstehen können (zum Beispiel aufgrund von Krankheit oder Alter), sind Pflegende von LGBTQ+-Personen besonders gefragt, da sie diejenigen sind, die den häufigsten Kontakt zu den Patient*innen/ Bewohner*innen/ Klient*innen haben. Neben einem sensiblen Umgang mit den Betroffenen, übernehmen Pflegende im Bedarfsfall die Anwaltschaft und Interessenvertretung für die ihnen anvertrauten Menschen. Insbesondere gilt das für Pflegende, die LGBTQ+-Personen mit kognitiven Einbußen betreuen; sei es in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege oder im Akutkrankenhaus. Traisters Werk steigert das Bewusstsein für eine Bevölkerungsgruppe, deren Bedürfnisse häufig nicht als abweichend von der heteronormativen Mehrheit wahrgenommen werden, was sich bei genauerer Betrachtung jedoch als Fehler erweist. Somit kann Traisters Buch einen bedeutsamen Beitrag dazu leisten, das Ziel einer qualitativ hochwertigen und personzentrierten Pflege für alle zu erreichen.

Dr. Kathrin Kürsten

Dr. rer. cur. Kathrin Kürsten, Altenpflegefachkraft, Pflegemanagerin (M. A.) aktuell Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fachbereich Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln. Kathrin Kürsten promovierte in der Pflegewissenschaft zum Thema gelingendes Alter(n) queerer Menschen an der Vinzenz Pallotti University in Vallendar. Für dieses Buch verfasste sie den Exkurs „Die Entwicklung des Paragraphen 175: Von Diskriminierung zur Anerkennung verschiedener sexueller und geschlechtlicher Identitäten in Deutschland“.

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