Anlässlich der Lancierung des "Handbuchs sexualisierte Gewalt" geben die beiden Herausgeber Dr. Jan Gysi und Dr. Peter Rüegger in einem Interview Einblick in den Entstehungsprozess und den interprofessionellen Hintergrund der Publikation – und äußern sich auch zur aktuellen #MeToo-Debatte.
Herr Dr. Gysi, Herr Dr. Rüegger, was hat den Anstoss für das neu erschienene "Handbuch sexualisierte Gewalt" gegeben?
Jan Gysi: Peter Rüegger und ich haben uns kennengelernt, als Herr Rüegger noch bei der Stadtpolizei Zürich als Leiter einer Ermittlungseinheit zur Verfolgung von Straftaten gegen die physische, psychische und sexuelle Integrität von Erwachsenen und Kindern gearbeitet hat.
Ich hatte mich auf die Arbeit mit schwer traumatisierten Menschen spezialisiert und begann mich zunehmend dafür zu interessieren, wie Opfer für eine Anzeigeerstattung und ein allfälliges darauffolgendes Verfahren besser vorbereitet werden könnten.
Dabei realisierte ich, wie wenig ich in meinen verschiedenen Aus- und Weiterbildungen über die Arbeit von Polizei und Justiz informiert worden war. Sogar in den Weiterbildungen in Traumatherapie waren wichtige Grundlagen ausgelassen worden. Im Verlauf verschiedener Gespräche mit Peter Rüegger entstand in der Folge die Idee zu diesem Buch.
Peter Rüegger: Mir ging es genauso. In meinem Aufgabenbereich, den ich bei der Stadtpolizei Zürich wahrgenommen hatte, steht der Mensch im Mittelpunkt. Bei den betreffenden Straftaten, wie zum Beispiel bei einer Vergewaltigung, geht es nicht nur um den Täter; vielmehr nimmt das Opfer eine zentrale Stellung ein, da seine Aussagen in der Regel von ausschlaggebender Bedeutung sind.
Mir war es wichtig, mehr darüber zu erfahren, wie die Polizei ihre Befragungen verbessern kann, so namentlich gegenüber traumatisierten Menschen. Ich wusste, dass wir in diesem Bereich mehr Wissen aus dem Bereich der Psychologie und Psychiatrie benötigen. Zu diesem Zweck betraute ich eine Mitarbeiterin mit der Aufgabe, eine Fachstelle Opferbelange aufzubauen und durch sie lernte ich Jan Gysi kennen. In Zusammenhang mit der Vorbereitung des Kongresses der European Society of Trauma and Dissociation ESTD (8. bis 11. November 2017 in Bern) entstand im Herbst 2015 die Idee, ein Handbuch herauszugeben.