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Selbstbestimmt und entspannt durch die Schwangerschaft

Trotz der oft idealisierten Darstellungen in den Medien kann eine Schwangerschaft auch mit Stress und Ängsten verbunden sein. Viele fühlen sich verunsichert, wenn ihre eigenen Empfindungen nicht den immer positiven Bildern entsprechen. Tamara Schneider und Julia Weber zeigen in ihrem Buch „Meine Schwangerschaft – so individuell wie ich!“, wie das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM®) dabei helfen kann, diese Zeit gelassener zu gestalten – sowohl für Schwangere selbst als auch für Fachpersonen, die sie begleiten. Im Interview erklärt Tamara Schneider, wie die ZRM-Methoden helfen, die eigenen Bedürfnisse besser zu verstehen und auf individuelle Herausforderungen einzugehen.

Glücklich schwanger individuell Wohlbefinden in der Schwangerschaft mit ZRM schwangere Frau mit Ballons Foto: shutterstock / Dubova

Ratgeber zur Schwangerschaft gibt es eine ganze Menge – das Buch „Meine Schwangerschaft – so individuell wie ich!“ arbeitet mit den ZRM-Coaching-Methoden. Was heißt das genau?

Die Methoden des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM®) unterstützen den Aufbau einer ressourcenvollen Haltung zu einem individuellen Thema unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse. Das kann z.B. das Thema Schwangerschaft allgemein oder auch spezifischer z.B. die Geburt sein, ebenso Stress im Allgemeinen oder bezogen auf eine spezifische Situation wie z.B. ein Konflikt mit dem Partner oder der Partnerin. Jede Person, die ein ZRM-Coaching durchläuft, bringt ihr persönliches Thema mit, an dem mit dem Coach oder der Coachin mithilfe des ZRM-Prozesses gearbeitet wird. Ziel eines ZRM-Coachings ist, für das Anliegen des Coachees neue Lösungen zu entwickeln. Dazu wird das Handlungs- und Verhaltensrepertoire zum ausgewählten Thema erweitert sowie die Flexibilität in damit zusammenhängenden Situationen vergrößert.

Ursprünglich wurde das ZRM vor über 30 Jahren im Auftrag der Universität Zürich von Dr. Maja Storch und Dr. Frank Krause zur Burnout-Prävention für Lehrpersonen entwickelt. Es ist im Grundsatz ein Selbstmanagementtraining. Seitdem wurde der Trainingsansatz permanent weiterentwickelt und auch in verschiedenen Settings wissenschaftlich evaluiert – das heißt, die Wirksamkeit des Trainings wird mittels Studien kontinuierlich untersucht.

Sie schreiben, dass z.B. durch die sozialen Medien ein Bild von Schwangerschaft vermittelt wird, bei dem es nur um positive Gefühle geht. Was heißt das für eine Schwangere, die mit negativen Auswirkungen konfrontiert ist?

Die sozialen Medien bieten uns die unbegrenzte Möglichkeit schnell an – sachliche und persönliche – Informationen zum Thema Schwangerschaft zu kommen, ohne dass ich selbst in den persönlichen Kontakt mit einer Person treten muss. Mit manchen Influencer*innen kann ich mich vielleicht identifizieren und lege damit auch ein gewisses Gewicht auf die Meinung und Empfehlung dieser Person. Es besteht grundsätzlich der Raum, um gemeinsame Erfahrungen auszutauschen und zu diskutieren.

Nicht selten folgen wir jedoch vor allem den Menschen in den sozialen Medien, die uns das darstellen, was wir uns vielleicht auch wünschen. Der perfekte Körper in der Schwangerschaft, Babypartys, bei denen es an nichts fehlt, die perfekt harmonische Beziehung, Freudentränen bei jedem Ultraschallbild, liebevoll eingerichtete Kinderzimmer in einem absoluten Traumhaus. Alles ist perfekt – ein Idealbild. 

Kämpft eine Frau währenddessen selbst mit negativen (Vor-)Erfahrungen und Herausforderungen in der Schwangerschaft, wie z.B. Übelkeit, Erschöpfung bis zu einer permanenten Müdigkeit, emotionale Schwankungen oder Ängsten, hat das Auswirkungen auf das individuelle Gefühlserleben. Eventuell fühlt sie sich „alleine“ mit ihren Gefühlen, denkt, ihre Schwangerschaft wäre ganz besonders herausfordernd, was wiederum das persönliche Belastungsempfinden nochmal erhöhen kann. Eventuell verspürt sie auch den Druck, ebenfalls dankbar und glücklich sein zu müssen, oder traut sich überhaupt nicht über ihre persönlichen „unnormalen“ Empfindungen zu sprechen. Letztlich kann all dies für ein erhöhtes Stresserleben sorgen. 

Unser Buch will Schwangerschaft daher als individuelle Reise darstellen, die nicht nach einem festen Schema verläuft. Es bietet Inspiration und Unterstützung, unabhängig davon, ob die Schwangerschaft leicht und unbeschwert oder mit Herausforderungen verbunden ist. Das Buch richtet sich somit vor allem an Schwangere, die sich nicht von gesellschaftlichen Normen, Stereotypen oder idealisierten Vorstellungen beeinflussen lassen möchten, sondern unter Berücksichtigung der Vielfalt ihrer persönlichen Erfahrungen, ihre Schwangerschaft nach ihrer eigenen Art und Weise und den eigenen Bedürfnissen gestalten und diese Bedürfnisse kennenlernen wollen. 

Wer kann vom Buch und von der ZRM-Methode profitieren, wendet es sich außer an schwangere Frauen (und ihre Angehörigen) noch an weitere Personengruppen?

Ja, Personen, die mit Schwangeren beruflich oder privat in Kontakt ste­hen, haben mit diesem Buch die Möglichkeit, die ZRM-Methoden und -Strategien kennenzulernen, um die Schwangerschaft auf eine ressourcen­orientierte Art zu begleiten. Das können beispielsweise Hebammen, Gynäkolog*innen, Doulas, Psycholog*innen, Coaches oder Physiotherapeut*innen sein sowie alle, die Freude und Interesse an dem Thema Schwangerschaft oder dem ZRM als Trainingsmethode haben. 

Wir kennen alle Stress – was bedeutet aber Stress in der Schwangerschaft? Welche Auswirkungen kann es auf Mutter und Kind geben?

Sind wir Herausforderungen oder Belastungen ausgesetzt, die unser Organismus als zu viel für unsere physischen und emotionalen Kapazitäten einschätzt, so reagieren wir auf körperlicher und emotionaler Ebene mit Stress. Diese Stressreaktion ist von unserer individuellen Bewertung und körperlichen Verfassung abhängig. Wir merken den Stress z.B. daran, dass wir uns erschöpft fühlen, weniger konzentriert sind, schlecht schlafen oder bei jeder kleinen Konfliktsituation schon aus der Haut fahren. Das ist während einer Schwangerschaft erst einmal nicht anders. Jedoch verändert sich bedingt durch die hormonellen und physischen Veränderungen die physiologische Stressregulation während der Schwangerschaft. Dies dient der Sensibilisierung und dem Schutz von Mutter und Kind. Problematisch ist für uns alle, wenn es zu chronischem Stress – das heißt einer andauernden Stressbelastung kommt. Wir wissen aus der Forschung, dass chronischer Stress mütterlicherseits zu vorzeitigen Wehen und Frühgeburt, Fehlgeburten und der Entwicklung von Schwangerschaftskomplikationen wie Bluthochdruck oder Diabetes führen kann. Auf Seiten des Kindes können eine Minderversorgung und ein damit einhergehendes niedrigeres Geburtsgewicht sowie Krankheitsdispositionen, Verhaltensauffälligkeiten oder Stressintoleranzen des heranwachsenden Kindes und späteren Erwachsenen die Folge sein. 

Und mit ZRM kann man lernen, geringeren Stress zu erleben und das subjektive Wohlbefinden zu steigern? Können Sie kurz umreißen, wie das funktioniert? Welche Tools hält das ZRM hier bereit?

Das Zürcher Ressourcen Modell reduziert Stress, indem es Menschen befähigt, ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren und eine konstruktive, selbstbestimmte Haltung gegenüber Stress einzunehmen. Manchmal ist es schwierig von der bewussten Absicht “Ich will mich nicht mehr so stressen lassen" zur aktiven Handlung zu gelangen. Studienergebnissen zufolge fördert das ZRM unter Einbindung unserer beider psychischer Bewertungssysteme – Verstand (Kopf) und Unbewusstes (Gefühl) – die Selbstregulation von Teilnehmenden und das bedeutet, dass negative Gefühle wie Stress eigenständig besser herab und positive Gefühle wie Motivation und Wohlbefinden besser herauf reguliert werden können. Eine Studie weist sogar darauf hin, dass das ZRM auch auf hormoneller Ebene wirkt und unser Stresshormon Cortisol reduzieren kann. 

Erreicht wird dies im ZRM über diverse Methoden, die vor allem auch das Unbewusste adressieren. Durch die Arbeit mit Bildern werden z.B. die Bewertungssignale des Unbewussten, so genannte somatische Marker direkter erfahrbar gemacht und unbewusste Bedürfnisse exploriert. Ein individuell entwickeltes Motto-Ziel synchronisiert bewusste und unbewusste Bewertung. Und mit der Affektbilanz (= Gefühlsbilanz) kann ich überprüfen, ob meine bewusste Absicht auf entsprechende Resonanz des Unbewussten stößt. Erinnerungshilfen sorgen für ressourcenvolle Unterstützung im Alltag. 

Mit der Kombination von rationalen/bewussten und emotionalen/unbewussten Ansätzen im ZRM wird die Stressbewältigung also nachhaltiger und ist emotional verankert. 

Könnte ich dann auch mit einzelnen Tools arbeiten, z.B. nur mit den Motto-Zielen?

Ja, ganz besonders die Motto-Ziele, als Kernelement des ZRM, sind geeignet, um sich eine ressourcenvolle Haltung aufzubauen und Stress zu reduzieren. Aus Studien wissen wir auch, dass Motto-Ziele ebenfalls in der Lage sind Selbstwirksamkeit und Willensstärke zu steigern, was für den Kontext Schwangerschaft sehr wertvoll sein kann. Mit dem ZRM-Online-Tool lässt sich schnell ein persönliches Motto-Ziel formulieren. Ein ZRM-Coaching wird immer auf die Bedarfslage der Klient*innen abgestimmt und dementsprechend kommen die einzelnen Tools zum Einsatz. 

Wäre ZRM eine Methode, die sich grundsätzlich für die Geburtsvorbereitung eignen würde? Gibt es hierzu bereits Bestrebungen, z.B. ZRM in der Hebammenausbildung zu integrieren?

Das ZRM kann sicherlich eine gute Ergänzung im Rahmen der Geburtsvorbereitung sein, es kann die klassische Geburtsvorbereitung jedoch in keinem Fall ersetzen. Vorstellbar wäre z.B. der Einsatz der Motto-Ziele oder der Affektbilanz, für die Schwangerschaft oder auch speziell für die Vorbereitung der Geburtssituation. Eine Integration in die Hebammenausbildung kann durchaus sinnvoll sein und wurde von Frau Prof. Dr. Nicola Bauer (Leiterin Institut für Hebammenwissenschaft an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln und der Uniklinik Köln) und uns angedacht - konkrete Umsetzungen sind bisher jedoch noch nicht erfolgt. 

Wie sind Sie selbst mit ZRM in Verbindung gekommen und was macht für Sie den Reiz des Zürcher Ressourcen Modells aus?

Ich selbst habe das ZRM als Patientin kennengelernt und war total beeindruckt, welche positiven Effekte ich auf körperlicher als auch mentaler Ebene wahrnehmen konnte, insbesondere auch mein Stresserleben betreffend. Diese Begeisterung hat mich nicht mehr losgelassen, sodass ich ZRM in meine berufliche Praxis integriert habe und die Effekte auch wissenschaftlich untersuche. 

Der Reiz des ZRM ist für mich nach wie vor in jedem Training/Coaching spürbar. Es ist der Moment, wenn die Verstandesüberlegungen der Teilnehmenden mit den individuellen Bedürfnissen ein Einklang stehen, das Motto-Ziel entsteht und die Teilnehmenden lächelnd berichten „…jetzt geht es mir schon besser!“.   

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Tamara Schneider

Tamara Schneider, M.Sc., Physiotherapeutin und Gesundheitswissenschaftlerin, ist zertifizierte ZRM®-Trainerin, Dozentin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin der Psychologie. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Entwicklung und Evaluation von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, Gesundheitsverhalten, Selbstmanagement, Prokrastination und Motivation.

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