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Selbstwert mit Hypnose stärken

Von Insa Uhlenkamp und Tabita Ricking.

Kennen Sie folgende Situationen?
Sie haben eine herausragende Leistung erbracht, die Sie so richtig befeuert hat? Oder Sie haben eine positive Rückmeldung Ihrer Führungskraft erhalten, die Sie auch zwei Tage später beim Abendessen noch strahlen lässt?

Selbstwert steigern mit Hypnose glückliche selbstbewusste Frau

Einige Menschen identifizieren sich sehr stark mit ihrer Arbeit, erreichten Meilensteinen und erzielten Ergebnissen. Warum hat eine gute Leistung für viele so eine große Bedeutung?

Hypothese 1: Viele Menschen nutzen Leistung als Weg, um sich besser zu fühlen.

Welches Selbstbild geben Sie im Job gern ab?

Viele Menschen in unserer Gesellschaft haben sich bestens antrainiert, ständig zu versuchen, die Erwartungen anderer im Job zu übertreffen. Dahinter steckt häufig die Suche nach Anerkennung von anderen und von sich selbst.

Denn Anerkennung bringt ein gutes Gefühl mit sich: die Gewissheit, gut genug und genau richtig zu sein. Grawe (2004) hat "Stimmigkeit" als ein psychisches Grundbedürfnis formuliert. Menschen möchten gut ankommen und von ihrem sozialen Umfeld akzeptiert werden - und positive Rückmeldungen bringen genau das. Und damit ein Gefühl von Stimmigkeit.

Bei Frauen ist das Bedürfnis gut anzukommen häufig noch ausgeprägter. Frauen haben durchschnittlich eine höhere Verträglichkeit und sind damit sensibler als Männer für die Reaktionen anderer (Weisberg et al., 2011). Sie haben außerdem einen schwächeren Testosteronspiegel, was mit einer höheren Sensibilität und einer Tendenz zu prosozialem Verhalten einhergeht (Tajima-Pozo et al., 2015).
Wir haben also sehr gute Antennen dafür, wie wir uns verhalten sollten und mit einer stetig hohen Leistung Anerkennung im Job erlangen können.
Bei einem sehr hohen Anspruch an die Arbeit und einer ausgeprägten Selbstdisziplin geht die Leichtigkeit im Job allerdings verloren. Es muss also gute Gründe dafür geben, dass viele Menschen bereit sind, ständig die Extrameile zu gehen.

Was treibt Menschen an, immer mehr zu geben?

Hypothese 2: Ein starkes Leistungsstreben ist eine erlernte Schutzstrategie für den Selbstwert.

Hinter dem Gefühl „gut genug zu sein" steckt meistens das Selbstwertgefühl. Der Wert, den wir uns selbst beimessen. Ein weiteres psychisches Grundbedürfnis nach Grawe (2004) ist das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz. Wenn dieses Bedürfnis nicht erfüllt wird, entsteht ein Gefühl von Minderwertigkeit.

Leistungsstreben ist dabei eine häufig gewählte Strategie für die Erhöhung des eigenen Selbstwertes. Während andere ihr eigenes Selbstwertwertgefühl mit einem dicken Auto oder einem großen Freundeskreis aufpolieren, fokussieren sich unsere Klient*innen auf perfekt ausgearbeitete Projekte oder eine Führungskarriere. Denn solche Aspekte geben Menschen mit einem niedrigen Selbstwertgefühl kurze Selbstwert-Boosts oder Schutzschilder. Wie hier Schutz entsteht? Perfekte Leistungen geben wenig Angriffsfläche und schützen so vor möglicher Kritik.

Mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und damit einhergehendem Leistungsstreben kann der Job allerdings auch sehr anstrengend werden. Der US-amerikanische Mediziner und Wissenschaftler Gabor Maté stellt fest, dass Fleiß und eine zu starke Identifikation mit Arbeit krank machen können.
Und tatsächlich konnte ein hoher Zusammenhang (r = .65) für die Gesundheit am Arbeitsplatz und das Selbstwertgefühl gefunden werden (Krampe, 2011). Demnach geht ein niedriges Selbstwertgefühl mit einer niedrigen Gesundheit am Arbeitsplatz einher.

So ist zum Beispiel die Welt meiner fleißigen und perfektionistischen Klientin zusammengebrochen als sie mit einer Krebsdiagnose auf dem OP-Tisch lag. Drastisch war für sie aber nicht zu erfahren, dass sie eine lebensbedrohliche Erkrankung hat, sondern als die Diagnose zurückgezogen wurde. Das bedeutete für sie: weiter gefangen sein im eigenen Leistungsanspruch, dem sie nie gerecht werden kann, anstatt mit der Krankheit endlich einen Ausweg aus dem Leistungsstrudel zu haben. Damit einhergehend hatte sie häufig das Gefühl, nicht auszureichen. Das Selbstwertgefühl hat also weitreichende Auswirkungen auf unser Leben.

Wann wurde das Gefühl, nicht gut genug zu sein, gebildet?

Hypothese 3: Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, wurde häufig schon im Kleinkindalter einprogrammiert.

Eine Klientin berichtete mir einmal von einer schwierigen Situation bei der Arbeit. Damals bekam sie ein kritisches Feedback von einer Führungskraft, was sie sehr traf und dazu brachte, wie ein kleines Kind zu schluchzen. Die Reaktion war also keine, die von ihrem rationalen Erwachsenen-Ich gesteuert war. Höchstwahrscheinlich wurden hier Verletzungen getroffen, die bei ihr schon im Kleinkindalter entstanden sind – sie wurde „getriggert“.

Verletzungen im Kleinkindalter können im Erwachsenenalter zu einem niedrigen Selbstwertgefühl und damit dem Gefühl, nicht gut genug zu sein, führen.

Der Zusammenhang von einem niedrigen Selbstwertgefühl und traumatischen Erfahrungen in der Kindheit wurde in verschiedenen Studien nachgewiesen (Downey & Crummy, 2022; Ozakar Akca et al., 2022). Bei diesen traumatischen Erfahrungen geht es häufig um verletzende Situationen mit den Eltern oder anderen nahen Bezugspersonen im Alter von null bis sechs Jahren. Dabei muss es hier nicht immer um faktisch lebensbedrohliche Erlebnisse, wie z.B. Autounfälle gehen. Auch Streits der Eltern oder Zurückweisungen können sich bei Kindern negativ einprägen.
Da Kinder für ihr Überleben von ihren Eltern abhängig sind, sind viele Erlebnisse für Kinder existentiell bedrohlich und prägen sich tief in das Angstgedächtnis ein.

Wie können diese Verletzungen im Erwachsenenalter erreicht und integriert werden?

Hypothese 4: Frühe, verletzende Situationen sind im Unbewussten abgespeichert und damit in der Hypnose zugänglich.

In einer Hypnose hat eine Klientin eine schwierige Situation wieder erlebt, die ihr nicht bewusst war. In der Situation war sie zwei Jahre alt und hatte Angst. Ihre Mutter war nicht da und sie war allein bei ihrer Großmutter. Bewusst war ihr nur, dass sie im Laufe ihrer Kindheit nie wieder bei ihrer Großmutter übernachten wollte. Sie kannte allerdings keinen auslösenden Grund dafür.

Als sie nach der Hypnose mit ihrer Mutter darüber sprach, bestätigte diese ihr, dass sie damals zwei Wochen bei der Großmutter bleiben musste. Sie selbst hatte eine Operation und war dafür zwei Wochen im Krankenhaus. Das Fehlen der Mutter und der wenig liebevolle Umgang der Großmutter hat der Kleinen eine existenzielle Angst vermittelt. Diese hat sich über Jahrzehnte eingeprägt und ihr potenziell das Gefühl gegeben, nicht richtig zu sein.
Dies deutet darauf hin, dass wir in hypnotischen Zuständen Zugriff auf reale Erinnerungen haben, die unbewusst abgespeichert sind und nicht bewusst erinnert werden.

Was ist im hypnotischen Zustand im Gehirn anders?

In Hypnose ist die elektrische Aktivität des Gehirns verändert: die Gehirnwellen sind langsamer (Delta- und Theta-Wellen; Jensen et al., 2015). Langsame Wellen hängen zusammen mit der Aktivität des limbischen Systems, das für Funktionen wie Emotionsverarbeitung und Gedächtnisbildung verantwortlich ist. Außerdem besteht in der Hypnose ein stärkerer Zugang zum Unbewussten und eine stärkere Aktivierung des visuellen Zentrums (Wolf et al, 2022). Nicht nur in der Hypnose, sondern auch in der frühen Kindheit werden im Gehirn mehr langsame Theta-Wellen gefunden (Cellier et al., 2021).

Was das für uns bedeuten könnte?

In der frühen Kindheit ist das Gehirn in einem Zustand, in dem Erlebnisse auf einer bestimmten Frequenz eingeprägt werden. In der Hypnose können wir dieselbe Frequenz herstellen, um auf solche Erlebnisse zuzugreifen und diese zu erinnern. Durch eine stärkere Aktivierung des visuellen Zentrums und Gehirnarealen für die Emotionsverarbeitung können in der Hypnose diese Situationen intensiv wieder erlebt werden.

Wie können solche Situationen in der Hypnose genutzt werden, um das Selbstwertgefühl zu erhöhen?

Hypothese 5: Eine neue Bewertung von verletzenden Situationen schafft Erleichterung und verstärkt das Gefühl, gut genug zu sein.

Stellen Sie sich vor, Sie sind nachts auf einer verlassenen Straße und plötzlich steht Ihnen eine Frau mit einer Pistole gegenüber. Das ist lebensbedrohlich und angsteinflößend. Wenn Sie dann im nächsten Moment aber merken, dass es sich um eine Polizistin mit ungeladener Pistole handelt, würde Ihre Angst vermutlich schnell abnehmen. Sie würden die Situation neu bewerten und verstehen, dass ihr Leben nicht in Gefahr ist.

Genauso kann es auch sehr erleichternd sein, schwierige Erlebnisse aus der Vergangenheit neu zu bewerten (Gibson & Heap, 2021).

Eine effektive Methode dafür ist die Innere-Kind-Arbeit, in der wir uns als Erwachsene um eine kleine kindliche Version von uns selbst kümmern (Bradshaw, 2013). Wir reisen zurück in eine verletzende, bedrohliche Situation in unserer Vergangenheit und geben dem Kind das, was es damals gebraucht hätte: Sicherheit, Liebe und das Gefühl, okay zu sein. Auch wenn es nachts allein im Bett liegt und sich verlassen fühlt, Mama und Papa sich streiten oder Mama gerade richtig schimpft.

Meistens hat das innere Kind in der Situation erst ein sehr schlechtes Gefühl in Bauch oder Brustbereich, das sich durch die liebevolle Fürsorge des eigenen Erwachsenen-Ichs schnell auflöst. Das führt bei den Erwachsenen meist zu einer starken Erleichterung.

Die Effektivität von Innerer-Kind-Arbeit haben Böge und Kolleg*innen (2020) nachgewiesen. Sie stellten eine starke Reduktion von psychopathologischen Symptomen durch Interventionen mit dem inneren Kind fest.

Die gute Nachricht

Positiv ist, dass es Wege gibt, wie Sie sich hier begegnen können. Es braucht keine Handlungen Ihrer Bezugspersonen. Sondern Sie können für sich und Ihr inneres Kind sorgen.

Dies ist einerseits möglich über Hypnose. Diese bietet einen sehr effektiven Weg, mit verletzenden Situationen und dem inneren Kind in Verbindung zu gehen. Im ersten Schritt kann es aber auch schon wohltuend sein, sich selbst ein paar Minuten zu nehmen, an eine bewusste, verletzende Situation in der Kindheit zu denken und das innere Kind einmal in die Arme zu schließen.


Literatur

Böge, K., Mouthaan, J., & Krause-Utz, A. (2020). Effects of dialogical mindfulness on psychopathology: A pilot study’s results from a seven-day psychosynthesis course about the inner child. The Humanistic Psychologist, 48(1), 84.

Bradshaw, J. (2013). Homecoming: Reclaiming and healing your inner child. Bantam.

Cellier, D., Riddle, J., Petersen, I., & Hwang, K. (2021). The development of theta and alpha neural oscillations from ages 3 to 24 years. Developmental cognitive neuroscience, 50, 100969.

Downey, C., & Crummy, A. (2022). The impact of childhood trauma on children's wellbeing and adult behavior. European Journal of Trauma & Dissociation, 6(1), 100237.

Gibson, H. B., & Heap, M. (2021). Hypnosis in therapy. Routledge.

González-Ramírez, E., Carrillo-Montoya, T., García-Vega, M. L., Hart, C. E., Zavala-Norzagaray, A. A., & Ley-Quinónez, C. P. (2017). Effectiveness of hypnosis therapy and Gestalt therapy as depression treatments. Clínica y Salud, 28(1), 33-37.

Grawe, Klaus (2004). Neuropsychotherapie. Hogrefe.

Jensen, M. P., Adachi, T., & Hakimian, S. (2015). Brain oscillations, hypnosis, and hypnotizability. American Journal of Clinical Hypnosis, 57(3), 230-253.

Krampe, David (2014). Selbstwert als kritische Variable des Unternehmenserfolges. Springer Gabler.

Ozakar Akca, S., Oztas, G., Karadere, M. E., & Yazla Asafov, E. (2022). Childhood trauma and its relationship with suicide probability and Self‐Esteem: A case study in a university in Turkey. Perspectives in psychiatric care, 58(4), 1839-1846.

Stahl, Stefanie (2015). Das Kind in dir muss Heimat finden. Kailash.

Tajima-Pozo, K., Bayón, C., Díaz-Marsá, M., & Carrasco, J. L. (2015). Correlation between personality traits and testosterone concentrations in healthy population. Indian journal of psychological medicine, 37(3), 317-321.

Valentine, K. E., Milling, L. S., Clark, L. J., & Moriarty, C. L. (2019). The efficacy of hypnosis as a treatment for anxiety: a meta-analysis. International Journal of Clinical and Experimental Hypnosis, 67(3), 336-363.

Weisberg, Y. J., DeYoung, C. G., & Hirsh, J. B. (2011). Gender differences in personality across the ten aspects of the Big Five. Frontiers in psychology, 2, 178.

Wolf, T. G., Faerber, K. A., Rummel, C., Halsband, U., & Campus, G. (2022). Functional changes in brain activity using hypnosis: A systematic review. Brain sciences, 12(1), 108.

Insa Uhlenkamp

Insa Uhlenkamp, M. Sc. Psychologin, Coach und Gründerin von Female Job Journey. Sie studierte an der Universität Osnabrück, der Marmara Üniversitesi Istanbul und der Georg-August Universität Göttingen.
Als Coach begleitet sie Frauen mit systemischem Coaching und Hypnose zu einem stärkeren Selbstwertgefühl. Dies macht sie einerseits in 1:1-Sitzungen wie auch in Workshops mit Unternehmen.
www.insauhlenkamp.com

Tabita Ricking

Tabita Ricking, Cand. B. Sc. Psychologie an der Universität Osnabrück. Sie ist Mitarbeiterin bei Female Job Journey als Head of Content Creation.

 

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