Was bringt Menschen dazu, Kinder sexuell zu missbrauchen?
Diese Frage beschäftigt viele und sie wird häufig gestellt. Aufgrund der Vielzahl möglicher Einflussfaktoren ist diese Frage nicht einfach beantworten. Sie ist aber für die Entwicklung von Präventionsstrategien von grundlegender Bedeutung, denn Prävention muss - wenn sie effektiv sein will - an den Ursachen ansetzen.
Zentral im Bedingungsgefüge ist die Motivation des Täters. Diese kann darin begründet sein, dass sich viele Täter zu Kindern und ihrer Welt hingezogen fühlen. Das Denken und Fühlen von Kindern ist ihnen näher als jenes von Erwachsenen. Frühe Traumata in der Kindheit können dafür verantwortlich sein. Eigene Missbrauchserlebnisse gelten als zentraler Risikofaktor in späteren Jahren selbst zum Täter zu werden. Viele Täter leiden unter Selbstwertproblemen, Gefühlen der Unzulänglichkeit und sozialen Kompetenzdefiziten. Deshalb fühlen sie sich in Kontakten mit Gleichaltrigen gehemmt, unterlegen und ängstlich und bevorzugen Kinder als Interaktionspartner. Zudem zeigen Missbrauchstäter häufig antisoziales Verhalten und Empathiedefizite. Diese beiden Faktoren gelten als die zentralen Risikofaktoren für delinquentes Verhalten. Kommt noch ein sexuelles Interesse an Kindern hinzu, erhöht sich spezifisch das Risiko für einen sexuellen Missbrauch. Das sexuelle Interesse an Kindern kann auf eine pädophile Störung zurückzuführen sein, auch der Wunsch nach Machtausübung kann eine zentrale Rolle spielen, um im sexuellen Kontakt mit Kindern Überlegenheit, Stärke und Kontrolle zu erleben.
Alle diese Faktoren bilden den Hintergrund für die Motivation des Täters, die in der Folge von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird. Diese Faktoren können die Motivation hemmen, diese auch verstärken. Dabei spielen das Ausmaß an bestehenden inneren oder äußeren Hemmnissen und der Widerstand des Opfers eine wesentliche Rolle. In seinen Überlegungen, Planungen und Verhaltensinitiativen wird vom Täter mehr oder weniger bewusst analysiert und abgewogen, welche Voraussetzungen bei einem Kind gegeben sind. Das Ergebnis dieses Prozesses bestimmt, ob der Täter aktiv wird und erste Initiativen setzt und vom Ausgang dieser Initiativen, wird es abhängen, ob er seine Strategien fortsetzt oder er diese abbricht.
Üblicherweise werden in unserer Gesellschaft sexuelle Kontakte mit Kindern als inakzeptable Handlungen gesehen. Die damit verbundene Gefahr einer sozialen Ächtung ist ein schwerwiegendes äußeres Hemmnis und kann Täter davon abhalten, sexuelle Missbrauchshandlungen zu begehen. Aber es existieren zahlreiche Mythen, welche das Verbot von sexuellem Missbrauch außer Kraft setzen können. Diese Mythen zeigen Situationen und Rahmenbedingungen auf, unter welchen sexuelle Übergriffe als „normale“ Reaktionen eingestuft werden können. Als weiteres äußeres Hemmnis sind Strafen zu nennen, die sexuelle Handlungen mit Kindern bedrohen. Dieses Hemmnis steht und fällt jedoch mit der Gefahr, dass der geplante sexuelle Missbrauch offengelegt und der Täter mit einer Verurteilung zu rechnen hat.
In unserer Gesellschaft existieren somit moralische und gesetzliche Normen gegen einen sexuellen Missbrauch an Kindern, die sicherlich von großen Teilen unserer Gesellschaft verinnerlicht wurden und somit als innere Hemmnisse fungieren. Missbrauchstäter müssen daher diese inneren Hemmnisse außer Kraft setzen, um entsprechend ihrer Motivation handeln zu können. Die beim Täter entstehenden kognitiven Dissonanzen können über Denkmuster, die sexuelle Kontakte mit Kindern rechtfertigen und in einen positiven Kontext stellen, gelöst werden. Hier greifen Täter auf existierende Mythen zur männlichen Sexualität und zum sexuellen Missbrauch zurück. So gelingt es Tätern sexuell übergriffiges Verhalten gegenüber Kindern zu rechtfertigen. Sie können somit Bedenken ausräumen, negative Gefühle vermeiden und ein positives Selbstbild aufrechterhalten. Auch psychische Auffälligkeiten des Täters können dazu führen, dass gesellschaftliche und soziale Normen nicht in dem Ausmaß wahrgenommen oder verinnerlicht wurden.
Ein weiterer Bereich, der die Tätermotivation herabsetzen kann, ist der zu erwartende oder der tatsächliche Widerstand des Opfers. Ein potentielles Opfer kann auf unterschiedliche Art und Weise den Planungen eines Täters und seinen Handlungen Widerstand entgegensetzen und sich dem Täter gegenüber als resilient präsentieren. Missbrauchstäter wählen sehr gezielt ihre Opfer aus, wobei hier nicht nur das Verhalten des Kindes, sondern auch situative Faktoren, wie die Betreuungssituation einfließen. Kinder, die unter dysfunktionalen familiären Verhältnissen aufwachsen, stehen unter einem deutlich erhöhten Risiko, sexuell missbraucht zu werden. Bei diesen Kindern sind Bedürfnisse nach Zuneigung, Nähe und Zärtlichkeit aber auch nach Orientierung, Zugehörigkeit und Anerkennung besonders ausgeprägt. Täter nutzen diese kindlichen Bedürfnisse und auch die mangelnde Beaufsichtigung, den fehlenden sozialen Rückhalt der Kinder für eigene Zwecke. Demgegenüber können aufgeklärte, selbstsichere und kompetente Kinder Annäherungen von potentiellen Tätern häufig bereits im Ansatz erkennen und mit deutlichem Widerstand entgegentreten. Ein funktionales familiäres Umfeld, das dem Kind hinreichend Sicherheit, Rückhalt und regen Austausch bietet, wo Vertrauensbeziehungen existieren, bietet Kindern den besten Schutz.