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Suggestion, Empathie und Evidenz in der Medizin

In seinem Buch „Suggestion, Empathie und Evidenz in der Medizin“ zeigt Prof Dr. Johannes Jörg, wie wissenschaftliche Medizin mithilfe von Empathie in der Behandlung und Nutzen von Suggestion noch erfolgreicher werden kann und die Flucht in eine oft fragwürdige Außenseitermedizin verhindern kann. Wir haben mit ihm über Chancen und Risiken der Glaubens-Medizin, über Universitäts-Medizin und die Möglichkeiten der Digitalisierung gesprochen.  

Pillen in einer Hand, Empathie und Suggestion spielen große Rolle in der Medizin

Herr Prof. Dr. Jörg, was ist die „Trias der Heilkunst“ ?

Unter der Trias der Heilkunst des 21.Jahrhunderts versteht man:

  • eine wissenschaftsbasierte digitale Universitäts-Medizin
  • Empathie mit hohem  Ärzte-Patienten-Vertrauen und gelebter Ethik
  • Suggestion mit hoher Erwartungshaltung („Glaubensmedizin“)

Welche Rolle spielt die Empathie des*der Behandelnden, was kann sie bewirken?

Empathie findet sich idealerweise beim gesamten Behandlungsteam, insbesondere aber bei Ärzten*innen mit einer einfühlsamen Persönlichkeitsstruktur. Kernelement  jeder Empathie ist dabei eine enge Arzt-Patienten-Beziehung mit den zwei Eigenarten Verantwortung und Vertrauen.

Ein enges  empathisches Arzt-Patienten-Verhältnis ist in der Lage, besonders bei suggestiblen Patient*innen mit großem Vertrauen und hoher positiver Erwartungshaltung, die Selbstheilungskräfte insbesondere bei Befindlichkeitsstörungen zu aktivieren. Dabei spielt der Grad der psychovegetativen Beeinflussbarkeit („Suggestibilität“) eine große Rolle.

Welche Art Neurotransmitter („Dopamin“) oder Endorphine („Opioide“) bei verschiedenen Störungen als Grundlage des Placebo-Effektes zur Aktivierung bestimmter Hirnstrukturen führen und Grundlage dieser positiven Veränderungen sind, ist noch unklar.

In jedem Falle treten diese positiven psychologischen und/oder physiologischen Veränderungen sowohl nach Medikamenten-Einnahme als auch nach Schein-Medikamenten immer dann auf, wenn die Empathie mit einer positiven Erwartungshaltung und einer großen Vertrauensbasis einhergeht.
Bei Verwendung von Schein-Medikamenten oder Schein-Operationen werden sie Placebo-Effekt genannt.

Um eine Heilungund nicht nur  eine subjektive Besserung von einer organischen Erkrankung zu erreichen, muss aber unabhängig von der geforderten Empathie und großen Erwartungshaltung der Patient*innen auf eine wissenschaftsbasierte Medizin zugegriffen werden. Diese einzig wirksame Therapie ist immer durch Doppelblind-Studien statistisch belegt und geht oft auch mit speziellen Nebenwirkungen einher.

Wie kann man das Verhältnis zwischen der evidenzbasierten Universitäts-Medizin und der „Außenseitermedizin“ beschreiben?

Universitäts-Medizin bedeutet eine evidenzbasierte, wissenschaftliche, durch Leitlinien und individuelle klinische Expertise geprägte Medizin. Nur positive Ergebnisse von Doppelblind-Studien erlauben ihren Einsatz in der Diagnostik, Therapie und Prävention. Diese Universitäts-Medizin ist  Grundlage einer empathisch geprägten Medizin und sie schließt  Qualitätsmanagement, Berufsethik mit gelebter Fehlerkultur und digitale Medizin mit ein.

Außenseitermedizin bedeutet deshalb Glaubens-Medizin, weil ein Wirksamkeitsnachweis in Doppelblind-Studien fehlt. Die beschriebenen Therapieergebnisse sind nahezu alle in Doppelblind-Studien als  unwirksam beschrieben.  Nur in Einzelfallbewertungen lassen sich positive Ergebnisse finden, allerdings ist die kausale Bewertung dann fast immer strittig.

Außenseitermedizin bedeutet Alternative Medizin, Komplementärmedizin  und Placebo-Therapie. Jede Außenseitermedizin ist rituell und empathisch mit viel Zeit für die Patient*innen ausgestattet und sie kann deutliche Besserung bei einzelnen Befindlichkeits-Störungen erreichen.

Universitäts-Medizin und Glaubens-Medizin haben  ein angespanntes Verhältnis, weil Ärzte die Sorge haben, dass durch die Einschaltung von Außenseitermethoden die wissenschaftlich fundierte einzig hilfreiche Therapie verzögert oder ganz verhindert wird. Die Methoden der Außenseitermedizin sind zur Behandlung organischer Krankheiten wegen ihrer Unwirksamkeit nicht geeignet. Um Schaden von Patienten mit organischen Krankheiten abzuwenden, sprechen sich daher fast alle wissenschaftlich ausgebildeten Ärzt*innen gegen die Anwendung von den meisten Außenseitertherapien aus.

Die Glaubens-Medizin mit der Placebo-Therapie an erster Stelle hat Ihre Berechtigung im häuslichen, Niedergelassenen-Bereich nur dann, wenn sich ihr Einsatz auf spezielle Befindlichkeitsstörungen beschränkt. Es müsste aber gesichert sein, dass dieses Zugeständnis nicht dazu führt, dass den Patient*innen eine wirksame Therapie vorenthalten wird. Beide Berufsgruppen – also Ärzte wie Heilpraktiker - müssen immer das Ziel einhalten: „Salus aegroti suprema lex“.

Ziel aller wissenschaftlich ausgebildeten Ärzt*innen sollte es zukünftig sein, Kompetenz nicht nur in der wissenschaftsbasierten Medizin, sondern auch in der Glaubens-Medizin  zu entwickeln.

Es gibt einige bekannte Phänomene, wie z.B. den Placebo-Effekt oder das Weißkittelsyndrom, wie könnte man kurz beschreiben, wie diese funktionieren?

Unter Placebo-Effekt versteht man positive psychologische und /oder physiologische Veränderungen, die sich nach Einnahme von Schein-Medikamenten oder Schein-Eingriffen einstellen. Der Placebo-Effekt ist keine Täuschung oder Einbildung, sondern eine Bestärkung des Patienten durch hohes Vertrauen auf Suggestion und Empathie, positive Einstellung auf Heilung oder Hilfe und eine positive Erwartungshaltung („Glaube“).

Der Placebo-Effekt ist Folge einer positiven Erwartungshaltung, einer klassischen Pawlowschen Konditionierung und einem hohen Arzt-Patienten-Vertrauen., Die klassische Konditionierung  als assoziierte Lernprozesse auf vorangehende eigene Erfahrungen zeigt sich in der  Wirkung von Tablettenfarbe bzw. -form oder der Art der Applikation

Vergleicht man die Wirkungen von einem Medikament („Verum“) und einem Placebo, so hat nur das zugelassene Medikament neben einer unspezifischen Wirkung eine spezifische Wirkung, die auch wissenschaftlich belegt ist. Das Placebo hat dagegen nur eine unspezifische Wirkung, die  wissenschaftlich überwiegend nicht belegt ist.

Ein besonders hoher Placebo-Effekt mit Aktivierung körpereigener Selbstheilungskräfte findet sich bei einzelnen Schmerzsyndromen, insbesondere wenn eine zeitaufwendige, mit Gesprächen einhergehende Akupunktur eingesetzt wird. Die Art und der Ort („Meridiane“) der Akupunkturpunkte - richtige oder falsche Akupunktur-Punkte – ist dabei für den Effekt gleichgültig.

Die Macht des „Weißkittelsyndroms“oder der „Droge Arzt“ zeigt sich darin, dass die richtigen Sätze an der richtigen Stelle gesagt – verbunden mit passenden Ritualen wie Tragen des weißen Kittels – jedes Medikament noch wirksamer macht. Kommt eine ruhige vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre ohne Zeitdruck hinzu und ist die Applikationsform der Medikamentengabe adäquat (z.B. bewusste Gabe von Infusion statt roter Tabletten) wird nahezu jedes Medikament im Sinne eines Placebo-Effektes unspezifisch wirksam.

Erhöhte Suggestibilität kann nützlich sein, wenn man z.B. das Ansprechen auf Placebos in den Blick nimmt, aber sie kann auch dazu führen, dass etwa psychogene Körperstörungen entstehen – wie geht man damit um?

Suggestion bedeutet psychovegetative Beeinflussung eines Menschen. Erhöhte Suggestibilität bedeutet erhöhte psychische oder/und vegetative Beeinflussbarkeit. Appliziert man Personen ein akustisches Signal, so sagen normale Personen das, was sie hören. Erhöht suggestible Personen sagen im Gegensatz dazu das, was sie glauben zu hören.

Erhöhte Suggestibilität findet sich besonders bei Patient*innen mit ausgeprägtem Placebo-Effekt bzw. Nocebo-Effekt, aber auch bei Patient*innen mit delirantem Psychosyndrom, Hypochondrie mit gesteigerter Selbstbeobachtung, Angstpatient*innen und solchen mit psychogenen Körperstörungen.

Patient*innen mit psychogenen Körperstörungen  weisen oft eine erhöhte Suggestibilität mit gesteigerter Selbstbeobachtung auf. Auch haben sie oft  viele unnütze Diagnostik- und/oder Therapie-Maßnahmen an sich durchführen lassen, die die Fixierung der eigentlichen Körperstörung fördern. Zur Symptomfixierung können auch gerade die Außenseitermethoden einen negativen Beitrag leisten.

Ursachen für psychogene Körperstörungen oder psychoreaktive Symptombildungen sind meist der Nachweis einer abnormen Erlebnisreaktion, eines Konfliktes oder einer neurotischen Entwicklung. Eine erhöhte Suggestibilität ist nicht Ursache für eine psychogene Körperstörung, sie kann aber Grund für eine bisher erfolgte Überdiagnostik und Übertherapie sein, die ja beide dem Patienten letztlich schaden und zur Symptomfixierung beitragen.

Sollte sich in der Universitäts-Medizin – etwa in der Ausbildung – etwas ändern, damit weniger Patient*innen sich pseudomedizinischen Verfahren zuwenden?

In der Ärzte Ausbildung sollte das Fachgebiet Psychologie als Teil des Gesundheitssystems verpflichtend gelehrt werden. Informationsveranstaltungen über Placebo-Effekt, Beschreibung von Außenseitermethoden (Akupunktur, Rituale in der Medizin, sinnvolle und unsinnige Komplementärmedizin) und ethische Fragen (Umgang mit Sterbehilfe, assistierter Suizid etc.)  sollten im Lehrplan angeboten werden.

Ärztekammern oder Gesundheitsämter sollten gemeinsame Veranstaltungen von Universitätsmediziner*innen und Dozent*innen von Heilpraktikerschulen organisieren, um von der jeweils anderen Seite zum Nutzen aller Patient*innen zu lernen und diese zu verstehen.

Sie widmen sich im Buch auch ausführlich dem Feld der Digitalisierung. Welche großen Chancen sehen Sie hier in den nächsten Jahren?

Die Digitalisierung bringt mit der online-Video-Sprechstunde und Telemedizin  die Fachkompetenz in die Notfallambulanz  und auf die Intensivstation der Allgemeinkrankenhäuser. Digitalisierung führt zu Zeitgewinn in der Notfallversorgung und verbessert so die Prognose von Patienten mit Herzstillstand oder Schlaganfällen.

Elektronische Apps und Sensoren-Einsatz erlauben zur eigenen Prävention die kontinuierliche Überwachung von Puls, Schrittzahlen, Blutdruck und die früheste Erfassung von Vorhofflimmern. Gesundheits-Apps erlauben auch im häuslichen Bereich die Übung von Sprachstörungen, Sprechstörungen  oder motorischen Defiziten. Künstliche Intelligenz erlaubt mit der Datenerfassung sowie der Bild-Erkennungstechnikeine frühere Diagnostik von Tumoren. Die Bewertungen von Röntgenbildern macht die Datenintelligenz allein und befreit so den Arzt von Routinearbeiten.

Assistenz-Roboter werden in der Mikrochirurgie-Technik seit einigen Jahren mit Erfolg eingesetzt. Humanoide Assistenz-Roboterkönnen Routineaufgaben  im Service und der Pflege erfolgreich und zuverlässig übernehmen. Den Pflegenden wird in Zukunft immer mehr Zeit für Ihre eigentliche pflegerische Arbeit geschaffen. Roboter sind trotz Kulleraugen und Hör- sowie Sprechfähigkeit empathielose Apparate, die nie ermüden und den Pflegenden wieder mehr Freiraum für die eigentliche humane Pflege ermöglichen können.

Warum wenden sich Menschen von der wissenschaftlich-basierten Hochschulmedizin ab und hin zu einer fragwürdigen Glaubensmedizin ?

Die Akzeptanz der Außenseitermedizin ist hoch, weil ihre Vertreter*innen oft Empathie und menschliche Zuwendung praktizieren und sie genug Zeit für die Patient*innen mitbringen. Auch sind beim Einsatz ihrer Therapievorschläge (Homöopathika mit Globuli, Akupunktur, Bachblütentherapie) keine Nebenwirkungen zu befürchten. Diese Qualität wiegt den Verlust von Wissenschaftlichkeit und Wirksamkeit aber meines Erachtens nicht auf, von der fehlenden langfristigen Wirksamkeit der empfohlenen, suggestiblen Therapie ganz zu schweigen.

Für die Zukunft ist zu wünschen, dass nur diejenigen Ärzt*innen eine wissenschaftsbasierte digitale Universitäts-Medizin einsetzen und dauerhaft betreiben dürfen, die auch empathisch sowie selbstkritisch sind und um Suggestion, suggestiv wirkende Methoden und  Außenseitermedizin wissen.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. med. Johannes Jörg

Prof. Dr. med. habil. Johannes Jörg ist nach der Habilitation am Universitäts-Klinikum Düsseldorf zur Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Essen gewechselt und hat dort die Arbeitsgemeinschaft für neurologische Intensivmedizin (ANIM) mitgegründet. Er war Lehrstuhlinhaber für Neurologie sowie Klinikdirektor an den Universitäten Lübeck und Witten/Herdecke. Zwanzig Jahre hat er in Wuppertal die Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie geleitet. Seit 2008 ist er ständiges Mitglied der Ethikkommission an der Bergischen Universität Wuppertal. Als Vorsitzender des klinischen Ethik-Komitees am Helios-Universitäts-Klinikum Wuppertal war er 10 Jahre tätig. An den Fachbereichen „Gesundheitsökonomie“ und „Psychologie“ ist er als Dozent speziell zum Thema Ethik sowie Neurologie für Psycholog*innen tätig. Johannes Jörg ist als Arzt für Neurologie und Psychiatrie Autor zahlreicher Fachbücher mit Schwerpunkt auf neurologischer Therapie, Intensivmedizin, Neurophysiologie, bes. autonomer Störungen, Rückenmark- und Parkinson-Erkrankungen. Im wissenschaftlichen Beirat des deutschen Parkinsonvereins (dPV) ist er seit Jahren aktives Mitglied.

Empfehlung des Verlags

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Möglichkeiten nutzen, Grenzen erkennen

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Was sagt der Dorsch zu:

Suggestion [engl. suggestion; lat. sugerere unterschieben, eingeben], [EM, KLI, KOG, SOZ], ein bes. Weg der Übertragung. «Suggestion ist die Beeinflussung des Denkens, Fühlens, Wollens oder Handelns eines Menschen unter Umgehung seiner rationalen Persönlichkeitsanteile auf der Grundlage eines zw.menschlichen Grundvollzuges, der zur affektiven Resonanz führt» (Stokvis & Pflanz, 1961). Diese Def. legt das Gewicht auf die Interaktion. Suggestion ist aber ebenso Begriff für die Fähigkeit des Suggerierenden (Suggestivität), für die suggestive Empfänglichkeit (Suggestibilität) und für den in die Suggestion eingegebenen Inhalt. ...