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Wechseljahre – für eine Sicht ohne Tabus

Die eine spürt nur wenig, die andere treffen die Auswirkungen heftig, aber betreffen tun die Wechseljahre alle Frauen. Erstaunlich, dass sich immer noch Tabus und Mythen rund um das Thema halten. Autorin Serena Lozza-Fiacco beantwortet im Interview zum neuen „Ratgeber Wechseljahre“ Fragen zu den Problemen, aber auch zu den Chancen, die die Menopause für Frauen bietet.

Welche Beschwerden sind typisch für die Wechseljahre, welche kommen am häufigsten vor?

Von gut 80% der Frauen erlebt, sind Hitzewallungen und nächtliches Schwitzen (vasomotorische Symptome) die häufigsten Symptome in den Wechseljahren. Aber auch Symptome wie Schlafstörungen, Stimmungsveränderungen, depressive Verstimmungen, Ängste, vaginale Trockenheit können vorkommen, müssen aber nicht. Die Intensität der Symptome kann dabei von leicht, über mittelgradig, zu schwer variieren. Wichtig ist zu verstehen, dass jede Frau die Symptome wieder etwas anders erlebt. Daher ist es wichtig, dass Frauen nicht versuchen, sich mit anderen zu vergleichen. Für Fachpersonen bedeutet das, einen möglichst individualisierten Therapieansatz zu verfolgen und das ganze Spektrum an möglichen Beschwerden abzufragen und ernst zu nehmen.
 

Wann ist professionelle Hilfe gefragt und müssen viele Frauen diese in Anspruch nehmen?

Wenn man selbst nicht mehr weiterkommt mit den Strategien, die einem davor durch Zeiten von Stress und Herausforderung geholfen haben, oder man es allein nicht schafft, neue Strategien zu entwickeln, um sich an die verändernde Situation anzupassen, dann macht der Schritt zum Profi Sinn. Auch kann eine Beratung Sinn machen, wenn neue Belastungen oder Stressoren (unabhängig von den Wechseljahren) dazukommen oder bereits bekannte Probleme (psychisch oder körperlicher Natur) sich verstärken. Es kann auch sein, dass eine Frau Schwierigkeiten beim Gedanken hat, nun in den Wechseljahren zu sein, es also eine gewisse Anpassung der Identität brauchen würde und diese nicht funktioniert. Viele Frauen wenden sich selbstverständlich an die Gynäkologin oder den Gynäkologen. Es kann aber auch Sinn machen, eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten aufzusuchen, gerade um Themen wie Identität, Stress oder Wertefragen zu besprechen. Dieser Weg fällt vielen Frauen noch immer eher schwer.

Was kann ich selbst tun, um möglichst gut durch die Wechseljahre zu kommen?

Eine Offenheit für neue Erfahrungen, Sichtweisen und Herangehensweisen an alltägliche Herausforderungen kann einem helfen, besser durch die Wechseljahre zu kommen. Bleiben Sie offen für Veränderungen. Diese können schließlich auch eine Chance für einen Neuanfang oder eine Art „Ausmisten“ des Lebens sein. Ansonsten bleibt wichtig, was davor auch schon galt: sozial und körperlich aktiv bleiben, sich ausgewogen ernähren, genügend schlafen und einen Spaß bringenden Ausgleich zum Stress des Alltags finden. Es kann auch helfen, realistische Ziele zu setzen und nicht mehr erreichbare Ziele loszulassen. Dabei kann es gut sein, sich seinen eigenen Werten bewusst zu werden und damit der Frage, was Frau eigentlich wirklich wichtig ist im Leben. Frauen sollten sich selbst in ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen auch ernst nehmen und diese nach außen vertreten, durch Grenzen setzen und klare Kommunikation.

Im Ratgeber wird auch beschrieben, wie man das Thema in der Partnerschaft und im Freundes- oder Kolleg*innenkreis zur Sprache bringt. Sollte man grundsätzlich offen über die eigenen Wechseljahre sprechen?

Jede Frau sollte selbst entscheiden, mit wem sie über was und in welchem Detailgrad spricht. Viele Themen verlieren jedoch ihre wahrgenommene Gefahr, wenn man sich traut darüber zu sprechen und dann vielleicht auch merkt, dass da eine Gleichgesinnte oder einfach eine verständnisvolle Person vor einem sitzt. Je mehr Frauen über ihre Wechseljahre sprechen, desto mehr kann es gesellschaftlich auch als das anerkannt werden, was es ist, ein ganz normaler Prozess im Leben einer jeden Frau und ein Prozess, der so individuell ist, wie die Frauen selbst.
 

Oft werden vor allem die negativen Aspekte beschrieben, aber gibt es nicht auch Positives über die Wechseljahre zu sagen?

Unbedingt! Die Wechseljahre können eine Chance sein, aus alten Mustern auszubrechen und sich bewusst zu überlegen, ob man so weiterleben möchte wie bisher. Auch das Ablegen von gesellschaftlichen Erwartungen kann befreiend sein. Für viele Frauen ist der Wegfall von körperlichen und psychischen Beschwerden rund um die Menstruation auch eine große Entlastung. Nicht zuletzt sind viele Frauen in und nach den Wechseljahren befreiter, wissen so gut wie nie zuvor im Leben, wer sie sind und geben der Meinung von anderen nicht mehr so viel Gewicht.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Serena Lozza-Fiacco

Dr. Serena Lozza-Fiacco, geb. 1989. 2010–2015 Studium der Psychologie an der Universität Zürich. 2015-2020 Doktorandin/ Assistentin am Psychologischen Institut, Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Zürich. Seit 2016 Weiterbildung in Kognitiver Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin an der Universität Zürich. 2016-2020 Psychotherapeutin unter Supervision, Universität Zürich. 2020 Promotion. 2020-2021 Postdoktorandin an der University of North Carolina at Chapel Hill. Seit 2021 Psychotherapeutin unter Supervision an Universität Zürich. Seit 2022 Postdoktorandin an der Universität Bern und Psychotherapeutin unter Supervision am Inselspital Bern, Spezialsprechstunde für menopausale Beschwerden und unerfüllten Kinderwunsch. Arbeitsschwerpunkt: Menopause, Sexualhormone, Einfluss hormoneller Veränderungen auf die psychische Gesundheit von Frauen.

Das sagt der Dorsch zu:

Wechseljahre [engl. menopause], syn. Klimakterium, Prämenopause. [BIO], Übergangsphase bei Frauen ab ca. 45 Jahren mit Unregelmäßigkeit der Menstruation bis zu ihrem letztmaligen Auftreten (Menopause) und dem Beginn der Postmenopause. Etwa die Hälfte aller Frauen leidet in dieser hormonellen Umstellungszeit unter diversen Beschwerden, auch psychonervöser Art (Schlafstörungen, Reizbarkeit, Schweißausbrüche etc.), die ggf. medikamentös …

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