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Wege zu einem sinnerfüllten und lebendigen Leben

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) ist eine erfolgreiche Möglichkeit, mit psychischen Belastungen und/oder körperlichen Beschwerden umzugehen, sie hilft aber auch, wenn es einfach darum geht, das Leben wieder als sinnvoll und selbstbestimmt wahrzunehmen. Über die Idee und die Methoden der ACT und ihre eigene Begeisterung für die Therapiemethode haben wir mit den beiden Autoren des neuen „Ratgeber Akzeptanz- und Commitment-Therapie“, Prof. Dr. Jan Philipp Klein und Dr. Ronald Burian gesprochen.

Kompass zeigt Richtung im Leben mithilfe der ACT Akzeptanz- und Commitment-Therapie Bild ©shutterstock / Alberto Menendez Cervero

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie ist mittlerweile ziemlich bekannt. Aber für die, die nicht recht wissen, was dahintersteckt – wie kann man die Idee hinter ACT kurz beschreiben?

Jan Philipp Klein:
Wenn ich meinen Patient*innen in der Gruppe erzähle, worum es in der Akzeptanz- und Commitment-Therapie geht, dann erkläre ich das Ziel der ACT immer so: Es geht darum herauszufinden, wie ich auch mit belastenden Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen umgehen kann, sodass sie einem vielseitigen, sinnerfüllten und lebendigen Leben nicht im Weg stehen, sondern mir vielleicht sogar helfen, dorthin zu kommen. 

Um das erreichen zu können, gibt es mehrere Schritte. Der erste Schritt ist, erst einmal zu gucken: Was ist eigentlich mein inneres Erleben? Was sind Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen, die es mir schwer machen, das Leben zu führen, was ich gerne führen möchte und wie gehe ich mit ihnen gerade um? Und dann fängt man an zu schauen, was ist mir eigentlich wichtig in meinem Leben? Und als letztes versucht man herauszufinden, was kann ich verändern, damit dieses Leben möglich wird?

ACT ist nicht nur für Menschen geeignet, die unter psychischen Problemen leiden, ist das richtig? Wer kann davon profitieren? Kann ich als Laie oder Laiin mit dem Ratgeber arbeiten?

Jan Philipp Klein:
Im Grunde geht es nicht nur um psychische Erkrankungen, sondern auch darum, wie der Umgang mit körperlicher Gesundheit einem manchmal das Leben schwer macht oder aus anderen Gründen - unabhängig von psychischer oder körperlicher Erkrankung - Lebenskrisen auftauchen, die verhindern, das Leben zu führen, das ich führen möchte.

Ronald Burian:
Mit ACT kann man üben, mit schwierigen Situationen im Leben gut umgehen zu können und dabei seinen Kompass im Leben zu behalten beziehungsweise erst einmal zu finden. Ich glaube, es macht die Stärke von ACT aus, dass es ganz einfache Grundlagen sind: Im jeweiligen Augenblick zu gucken, was ist mir jetzt wichtig? Was steht dem entgegen, was macht es für mich schwierig, damit umzugehen? Dann kann man lernen, einen Schritt zurückzutreten und die Perspektive zu ändern. Wenn man mit ACT arbeitet, ist es wichtig, bei diesen einfachen Grundlagen zu bleiben: Ich akzeptiere das, was mir schwerfällt und ich weiß, wo ich hin will und dadurch finde ich meine Richtung und behalte sie auch. Deswegen ist es nicht nur eine Therapie, wenn es darum geht, psychische Erkrankungen zu behandeln, sondern generell eine gute Art mit Schwierigkeiten umzugehen.

Ein schönes Beispiel ist die Metapher, dass wir Gärtner im eigenen Garten sind. Aber manchmal wächst nicht alles so, wie man möchte … was kann man tun, um sich wohl zu fühlen in seinem Garten?

Ronald Burian:
Wenn ich einen Garten habe, möchte ich natürlich, dass dort schöne Pflanzen wachsen, an denen ich mich erfreuen kann. Dafür ist es wichtig, dass ich ihnen gute Bedingungen biete, einen optimalen Standort, Wasser usw. Aber ich muss auch entscheiden, wenn immer wieder Unkraut hochwächst oder die Witterungsbedingungen ungünstig sind, mache ich mich dann selbst fertig, in dem ich so viel arbeite, dass ich den Garten gar nicht mehr genießen kann oder akzeptiere ich, dass es Schwierigkeiten gibt, die ich beim besten Willen nicht beseitigen kann. Es ist mit bewussten Entscheidungen verbunden, Entscheidungen zur Akzeptanz oder Entscheidungen Dinge in die Hand zu nehmen. Das ist, glaube ich, eine ganz gute Metapher für die Arbeit mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie.

Jan Philipp Klein:
Wenn ich mit aller Kraft versuche in einem Bereich, der mir wichtig ist, sämtliche Probleme beiseitezuschaffen, dann kommen vielleicht andere Bereiche, die mir auch wichtig sind, zu kurz. Es wäre also gut, sich zu fragen, wie kann ich mit den Herausforderungen, die bei den verschiedenen Sachen wichtig sind, einen Umgang finden? Dass ich diese gut bewältigbar halte und mich nicht im Kampf z. B. mit diesem kleinen Unkraut aufhalte und alles andere, was mir auch wichtig ist, zu kurz kommt.

Ronald Burian:
Es macht uns ja nicht gerade froh, wenn wir merken, dass wir hinter den eigenen Ansprüchen nicht hinterherkommen. Es kann dazu kommen, dass ich mich bis zur Erschöpfung auspowere oder resigniere. Dann geht es um die innere Haltung, es geht darum, dass nicht alles perfekt sein muss, dass man – um auf die Gartenmetapher zurückzukommen – vielleicht dankbar ist, überhaupt einen Garten zu haben oder dass es mal regnet oder die Vögel singen. 

„Wege zu einem sinnerfüllten und lebendigen Leben“ lautet der Untertitel des Buchs. Brauche ich Sinn im Leben, um glücklich sein zu können?

Jan Philipp Klein:
Ich würde es nicht von dem Wort „Sinn“ abhängig machen, es geht um die Frage, wohin ich in meinem Leben will. Was ist das, was das Leben für mich persönlich lebenswert macht? Um wieder zur Gartenmetapher zurückzugehen: Was ist das, was mich aufblühen lässt, wo ich merke, ich fühle mich lebendig, ich will das machen. Das steht im Kontrast zu einem Umgang mit Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen, bei dem es nur darum geht, alles, was einen belastet, loszuwerden. Das ist der Kontrast, um den es geht: Versuche ich, das, was ich gerade nicht haben will, mit aller Kraft zu bekämpfen oder habe ich auch im Blick, wo ich eigentlich hin will? Dann kann man sich auch die Frage stellen: Was ist für mich ein sinnerfülltes Leben? Aber das ist nur ein Weg dahin.

Ronald Burian:
Auf der einen Seite geht es darum, sich selbst bewusst zu sein, was liegt mir am Herzen, was bewegt mich? Das ist oft etwas Emotionales, wo ich dann spüre, das ist etwas, was mich lebendig macht - das muss sich aber nicht immer gut anfühlen. Manchmal kann auch der Schmerz uns zeigen, was uns wichtig ist. In dem Moment, wo uns etwas Wichtiges verloren geht oder droht verloren zu gehen etwa. Es würde uns nicht wehtun, wenn es nicht wichtig wäre. Und es ist gut, das wahrzunehmen und zu sagen: Ja, da steckt etwas drin, was mich lebendig sein lässt. Ein lebendiges und sinnhaftes Leben kann dann eben ein erfülltes Leben sein. Und ein erfülltes Leben kann uns glücklich machen.

Im Buch gibt es zahlreiche Übungen. Muss man die alle durchführen, um ans Ziel zu gelangen? Welche Materialien stehen hierfür bereit?

Jan Philipp Klein:
Nein, es ist nicht notwendig, alles durchzuführen, jede*r sollte für sich entscheiden, was er oder sie machen möchte. Ich glaube, das Schöne an dem Buch ist, dass es einfach so ein breites Spektrum gibt, man kann viel lesen, es gibt Arbeitsblätter und die schönen Illustrationen, die manchmal Dinge deutlich werden lassen, auf die man einfach durch Nachdenken nicht kommt. Dann gibt es Übungen, auch welche, die als Audiodatei zur Verfügung stehen, die man z.B. mit geschlossenen Augen machen kann. Man kann einfach seinen Weg wählen, ausprobieren, was einem gerade hilft.

Ronald Burian:
Ich glaube auch, dass die Stärke des Buches ist, das es verschiedene Sinne ansprechen kann und jede*r für sich gucken kann: Was liegt mir besonders?
Die Übungen sollen Hilfsmittel sein, um in eine Art Training zu kommen. Letztendlich ist die Fähigkeit, gut bei sich und im Augenblick zu sein, eine Fertigkeit, die man trainieren kann, quasi wie einen psychologischen Muskel. Auch die Fähigkeit zum Perspektivwechsel ist nicht jedem gegeben, die Übungen sind vor allem für diejenigen hilfreich, denen es eher neu ist, mit einer anderen Perspektive auf die Dinge zu schauen. 

Übung aus: Ratgeber Akzeptanz- und Commitment-Therapie

Nehmen wir als Beispiel etwas, was vermutlich viele kennen: Die Verstrickung in eigene Gedanken. Welche Wege bietet ACT, um das Loslassen von Gedanken zu üben?

Jan Philipp Klein:
Es gibt viele verschiedene Wege, ein erster Schritt ist ja vielleicht überhaupt zu bemerken, dass es manchmal Gedanken gibt, die mich so gefangen nehmen, dass ich völlig den Blick verliere darauf, was mir eigentlich wichtig ist. Der nächste Schritt ist zu merken: Es gibt tatsächlich unterschiedliche Möglichkeiten, mit den Gedanken umzugehen. Wenn der Gedanke kommt: Ich bin nichts wert, dann ist die erste natürliche Reaktion, dass man sich entweder dem Gedanken unterordnet und sich so verhält, als wenn man wirklich nichts wert wäre - oder anfängt, mit dem Gedanken zu kämpfen. Da sind die Illustrationen schön, denn sie machen deutlich, dass man sich manchmal in den Kampf mit dem Gedanken begibt. Aber das Bild zeigt auch eine andere Möglichkeit: Sich wieder zurückzunehmen und den Gedanken mit Abstand zu sehen.

Der Gedanken-Computer aus: Ratgeber Akzeptanz- und Commitment-Therapie

Ich würde den Lesenden sehr raten, am Ende auf die eigene Erfahrung zu vertrauen. Ich würde dazu einladen, das Buch immer mal wieder in die Hand zu nehmen und etwas Neues auszuprobieren, weil es manchmal auch die Abwechslung macht.

Ronald Burian:
Da würde ich völlig zustimmen. Es ist im Grunde ein einfacher Dreisatz:
Der erste Schritt ist, wie Philipp auch sagte, Gedanken zunächst wahrzunehmen, der zweite ist, die Gedanken zu akzeptieren, sie sind da und haben sicherlich auch ihre Begründung. Aus dem Wahrnehmen und aus dem Akzeptieren der Gedanken kann dann der dritte Schritt entstehen. Das wäre, etwas Abstand zu halten und die Perspektive auf die Gedanken zu wechseln: Was würde vielleicht ein guter Freund darüber sagen, dass ich das jetzt gerade im Kopf habe? Oder: Hilft mir der Gedanke, in der Situation für mich die richtige Entscheidung zu treffen? Wenn man diese drei Schritte vollzogen hat, kann man ein bisschen spielerisch, leichter auch mit belastenden Gedanken umgehen, dafür sind die Übungen nützlich.

Wie haben Sie selbst ACT kennen gelernt und was schätzen Sie an dieser Therapie besonders, welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Ronald Burian:
Ich habe in meiner psychiatrischen Laufbahn die Akzeptanz- und Commitment-Therapie relativ spät kennengelernt. Ich sollte als Psychiater an einem Schmerzzentrum mitwirken und habe gemerkt, dass ich mit meiner bisherigen Ausbildung und mit meinen therapeutischen Strategien einfach an ein Limit kam. Es war für mich das totale Aha-Erlebnis, als ich ACT kennenlernte, dass es vielleicht auch darum gehen kann, erst einmal das zu akzeptieren, was da ist, dann zu schauen, was kann ich im Leben trotzdem machen, auch wenn ich eine Erkrankung habe, die chronisch ist und bleibt. Wie kann ich trotzdem ein sinnvolles und erfülltes Leben führen? 

Ich habe dann selbst sogar eine Ausbildung zum Trainer gemacht, ich wollte ACT an Kolleg*innen weitergeben, denn ich habe gemerkt, dass es auch für mein eigenes Leben eine große Bereicherung ist. 

Jan Philipp Klein:
Als ich das Behandlungsprogramm für Menschen mit psychosomatischen Störungen neu ausrichten sollte, habe ich gedacht, das sind genau die Patient*innen die das wirklich brauchen. Weil es besonders darum geht, dass durch den Kampf mit den körperlichen Symptomen so sehr aus dem Blick gerät: Wie will ich mein Leben eigentlich leben? Was ist mir wichtig im Leben und wie kann ich mit diesem körperlichen Symptomen so umgehen, dass das möglich ist?

Für mich war eine wichtige Erfahrung, dass Akzeptanz ja nicht bedeutet, Augen zu und durch, oder: Zähne zusammenbeißen! Früher war ich immer ganz schnell frustriert, wenn ich Dinge nicht in meine medizinischen Paradigmen einordnen konnte und plötzlich hatte ich ein Modell an der Hand, wo es einfach darum geht, mich dafür zu interessieren, was meine Patienten erleben.

Das war wirklich eine Entdeckung und ich kann ebenfalls bestätigen, dass es auch in meinem eigenen Leben gut wirkt. Was mich wirklich überzeugt, ist, dass wir mit der ACT mit wenigen einfachen Prinzipien sehr viele psychische Phänomene sehr präzise erklären können, so dass wir ein sehr mächtiges Werkzeug haben, was sich auf viele Dinge anwenden lässt.

Ronald Burian:
Mir ist es wichtig zu sagen: Es ist eine Einladung. Es gibt eine ganze Reihe von ebenfalls evidenzbasierten, wissenschaftlich erwiesen wirksamen Therapien. Unsere persönliche Erfahrung ist einfach, dass ACT sowohl bei bestimmten Krankheitsbildern eine sehr gut wirksame Methode ist als auch in der Prävention sehr hilfreich sein kann. 

Jan Philipp Klein:
Man kann sehr gut auch einzelne Übungen einbauen in der Arbeit. Mit ACT kann man auf eine ganz besondere Art und Weise auf psychisches Leid schauen, das heißt, selbst wenn man nicht mit ACT im Ganzen arbeitet, auch nicht eine der Strategien einsetzt, die Haltung im Umgang mit Leid ist auch eine andere und auch das kann die Art und Weise, wie ich das, was ich vielleicht bisher therapeutisch immer gemacht habe, nachhaltig beeinflussen, selbst wenn ich weiter in meinen anderen evidenzbasierten Behandlungsmodellen bleibe.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch! 
 

Prof. Dr. Jan Philipp Klein

Prof. Dr. Jan Philipp Klein, geb. 1977, 1997-2004 Studium der Medizin an der Charité Universitätsmedizin Berlin, dem University College London (GB) und dem UT Southwestern Medical Center in Dallas, Texas (USA). 2005 Promotion. Ab 2005 wissenschaftliche und klinische Ausbildung an der Charité Berlin und an der Universität zu Lübeck. 2010 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2012 Leiter der Arbeitsgruppe Psychotherapieforschung an der Universität zu Lübeck. 2017 Habilitation. Seit 2017 leitender Oberarzt der Kliniken für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität zu Lübeck. 2020 Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. 

Dr. Ronald Burian

Dr. Ronald Burian, geb. 1966. Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. 1986-1994 Studium der Humanmedizin an der Humboldt- Universität, Berlin. Berufsstart zunächst in der Allgemeinmedizin, seit 1996 dann tätig in der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. 2007 Promotion zum Thema Kooperation zwischen Konsiliarpsychiatrie und Allgemeinmedizin. Arbeitsschwerpunkte: Psychosomatik und psychotherapeutische Schmerzmedizin, Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie, Therapie affektiver Störungen, kulturelle Psychiatrie und Psychotherapie. Versorgungsforschung und Publikationen zum Thema Akzeptanz- und Commitment Therapie (ACT) seit 2011. Seit 2015 Peer-reviewed ACT- Trainer der internationalen Fachgesellschaft ACBS.

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Das sagt der Dorsch zu:

Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) [engl. Acceptance and Commitment Therapy], [KLI], Hayes et al., 2012; ist ein transdiagn. Behandlungsansatz, der in der Tradition des radikalen Behaviorismus steht. Das Verfahren basiert auf der sog. Bezugsrahmentheorie [engl. RFT – relational frame theory], einer verhaltenswiss. Theorie menschlicher Sprache und Kognition, und ist eng mit der Evolutionstheorie und ihren Anwendungen verbunden (Wilson et al., 2014). Inzw. wurde ACT in über 200 randomisierte kontrollierte Studien untersucht. Die ACT orientiert sich nicht an syndromalen Diagnosen, sondern basiert auf einer funktionalen Verhaltensanalyse mit dem Ziel, dieses vorherzusagen und zu verändern. Das übergeordnete Ziel ist, die psych. Flexibilität zu erhöhen, die für ein werteorientiertes Leben unter ständig wechselnden inneren und äußeren Lebensbedingungen erforderlich ist. …