DeutschKlinik und Therapie

Wie man ekelbezogene Störungen therapieren kann

Im therapeutischen Kontext ist Ekel eine oft vernachlässigte Emotion, obwohl er bei vielen Störungen, wie z.B. Zwangsstörungen, Essstörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen eine entscheidende Rolle spielt. Prof. Dr. Jakob Fink-Lamotte und Prof. Dr. Cornelia Exner widmen sich in einem neuen Band der Reihe „Fortschritte der Psychotherapie“ dem Thema „Ekelbezogene Störungen“. Wir haben mit Ihnen über die Besonderheiten dieser Basisemotion, ihre Auswirkungen und Therapiemöglichkeiten bei pathologischem Ekel gesprochen.

Ekelbezogene Störungen pathologischer Ekel junge Frau mit vor Ekel verzerrtem Geischt Foto: shutterstock / Krakenimages.com

Ekel wird zu den Basisemotionen gerechnet, jeder Mensch kennt ihn. Wie äußert sich Ekel und welche Funktion hat er eigentlich?

Ekel äußert sich in intensiven, unangenehmen Gefühlen, begleitet von Körperreaktionen wie Würgereiz, Erstarren, Vermeidungsverhalten und typischen Gesichtsausdrücken (z. B. Hochziehen der Oberlippe, Runzeln der Nase). Seine Hauptfunktion liegt in der Schutz- und Vermeidungsreaktion, um potenziell schädliche oder krankheitserregende Substanzen zu meiden. Insbesondere geht es darum, sich vor allem zu schützen, was einen von innen vergiften und umbringen könnte. Ekel wird damit auch als wichtiger Bestandteil eines Verhaltensimmunsystems gesehen.

Inwieweit ist Ekel angeboren oder erlernt?

Das ist wie (fast) immer kein „entweder oder“ sondern ein „sowohl als auch“: Ekel zeigt sowohl angeborene als auch erlernte Aspekte. Bereits Babys reagieren mit einem prototypischen Gesichtsausdruck auf unangenehme Gerüche oder Geschmäcker – übrigens kulturübergreifend. Allerdings entwickeln sich höhere Ekelreaktionen, wie moralischer Ekel oder kulturell geprägte Abscheu, durch Beobachtung und Erlernen von Reaktionen der Umgebung auf bestimmte Stimuli und Verhaltensweisen im Laufe des Lebens.

Gibt es unterschiedliche Formen von Ekel?

Ja, Ekel lässt sich in physische und moralische Kategorien unterteilen. Physischer Ekel umfasst Objektekel (z. B. gegenüber Lebensmitteln, Körperausscheidungen, Leichen). Selbstekel (Abscheu gegenüber eigenen Aspekten, wie Körperteilen) und Kontaminationsekel (Angst vor Ansteckung durch Berührung). Moralischer Ekel richtet sich gegen gesellschaftliche Fehlverhalten wie Verstöße gegen eigene Normen und Regeln.

Ekel und Angst weisen Ähnlichkeiten auf, wie kann man beide Emotionen unterscheiden?

Obwohl Ekel und Angst ähnliche Vermeidungsreaktionen hervorrufen, unterscheiden sie sich die beiden Emotionen auf mehreren Ebenen: So hat Ekel die bereits genannte Funktion, den Körper vor Kontamination und Krankheiten zu schützen, während Angst grundsätzlicher vor „objektiven“ Gefahren schützt. Ekel geht auf physiologischer Ebene mit einer parasympathischen Aktivierung (z. B. verlangsamter Herzfrequenz) einher, während Angst zu einer Aktivierung des sympathischen Nervensystems führt (z. B. erhöhte Herzfrequenz). Auch auf kognitiver Ebene unterscheiden sich beide Emotionen durch spezifische Überzeugungen. So ist beispielsweise Ekel durch „sympathetische magische Überzeugungen“ (z. B. „einmal kontaminiert, immer kontaminiert“) gekennzeichnet, Angst eher durch Überzeugungen zur Gefährlichkeit von Objekten und Situationen und meinen eigenen Fähigkeiten damit umzugehen.

Ekel hat also ursprünglich eine Schutzfunktion, wie entsteht dann pathologischer Ekel, welche Formen gibt es hierbei?

Pathologischer Ekel entsteht, wenn das natürliche Ekelerleben in seiner Intensität oder Häufigkeit so gesteigert ist, dass es die Lebensqualität oder das tägliche Funktionieren einer Person erheblich beeinträchtigt. Dies geschieht oft durch vier mögliche Mechanismen:
(1) Starke Ekelreaktionen, z. B. durch Kontakt mit bestimmten Objekten oder Personen, führen zu ausgeprägtem Vermeidungsverhalten. Dies verhindert Gewöhnungsprozesse und verstärkt das Ekelgefühl langfristig (reaktionsbezogener Mechanismus), (2) der Ekel richtet sich gegen die eigene Person, z. B. bei einer verzerrten Wahrnehmung des eigenen Körpers oder eigener Eigenschaften (Mechanismus des Selbstekels), (3) die Person beschäftigt sich übermäßig mit Normverstößen (Mechanismus des moralischen Ekels) oder (4) verzerrte Überzeugungen wie das „Gesetz der Ansteckung“ („einmal kontaminiert, immer kontaminiert“) oder das „Gesetz der Ähnlichkeit“ verstärken die Wahrnehmung von Ekel und tragen zur Aufrechterhaltung bei (Mechanismus der kognitiven Verzerrung).

In dieser Hinsicht lassen sich auch die Formen unterscheiden: (1) der Kontaminationsekel tritt häufig bei Zwangsstörungen wie Waschzwang oder Angst vor Infektionen auf, (2) Selbstekel ist vermehrt bei Störungen wie Trichotillomanie, Skin-Picking oder Essstörungen zu beobachten, (3) moralischer Ekel ist bei Zwangsstörungen im Kontext von Schuld- und Reinheitsgedanken relevant und (4) generalisierter Ekel tritt auf, wenn Ekelreaktionen auf immer mehr Auslöser ausgedehnt werden und kaum noch kontrollierbar sind.

Warum sollte (pathologischer) Ekel im therapeutischen Kontext thematisiert und behandelt werden?

Unbehandelter pathologischer Ekel kann psychische Störungen aufrechterhalten, wie z. B. Zwangsstörungen oder spezifische Phobien und kann die Lebensqualität reduzieren. Studien zeigen, dass eine explizite Bearbeitung des Ekels zu besseren Therapieergebnissen führt. Die Thematisierung und Behandlung von Ekel eröffnet den Betroffenen neue Handlungsspielräume und kann ihre Fähigkeit zur Bewältigung alltäglicher Herausforderungen erheblich verbessern. Insbesondere in der Kombination mit innovativen Ansätzen wie imaginativen Techniken und virtueller Realität lassen sich positive Therapieergebnisse erzielen.

Welche Behandlungsoptionen stehen für ekelbezogene Störungen zur Verfügung?

Die Behandlung umfasst vor allem kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze wie:

  • Expositionstherapie, um Gewöhnung an Ekelreize zu fördern.
  • Kognitive Techniken, um verzerrte Überzeugungen zu bearbeiten.
  • Imaginative Verfahren, um „magische Überzeugungen“ gezielt zu verändern

Daneben gibt es immer mehr gezielte Programme, die das Ziel haben, pathologischen Ekel zu verändern und teilweise aus mehreren Therapiebausteinen bestehen.

Im Buch stellen Sie die eine Kombinationstechnik vor: Kognitives Restrukturieren und Imaginatives Modifizieren (CRIM). Was ist die Grundidee dieser Technik und welche Vorteile bietet sie?

CRIM ist ein Verfahren, das von Regina Steil im Rahmen Posttraumatischer Belastungsstörungen entwickelt wurde und basiert auf der Annahme, dass emotionale und kognitive Prozesse eng miteinander verknüpft sind. Besonders bei Ekel zeigen sich oft „magische“ Überzeugungen, die nicht nur kognitive, sondern auch bildhafte und körperliche Reaktionen hervorrufen. Die Technik greift gezielt beide Ebenen an: Erstens, werden beim kognitiven Restrukturieren dysfunktionale Überzeugungen auf ihre Logik und Plausibilität hin überprüft. Beispielsweise wird recherchiert, wie „schutzlos“ der Körper gegenüber Infektionen und dem Eindringen von Keimen ist, z.B. in dem das Immunsystem besser verstanden wird. Zweitens wird beim imaginativen Modifizieren mit den bildlichen Vorstellungen gearbeitet, die den dysfunktionalen Überzeugungen zugrunde liegen. Patient*innen werden angeleitet, sich die Immunabwehr bildhaft, vielleicht sogar comichaft vorzustellen. Ziel ist es, dysfunktionale Überzeugungen zu ändern und Ekel durch bildliche Vorstellungen zu entkräften. 

Wie beurteilen Sie die Lage bei der Entwicklung von Behandlungsoptionen bei ekelassoziierten Störungen, welche Perspektiven ergeben sich hier?

Es gibt eine wachsende Zahl empirisch gestützter Ansätze, jedoch besteht weiterhin Bedarf an spezifischen Techniken und Programmen, die die einzelnen Facetten des Ekelerlebens nachhaltig verändern können. Perspektiven liegen in der Entwicklung und Integration moderner psychotherapeutischer Techniken, unter Zuhilfenahme von Technologien wie Virtual Reality, um Ekel gezielt zu bearbeiten.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Jakob Fink-Lamotte

Prof. Dr. Jakob Fink-Lamotte, geb. 1988. 2008–2014 Studium der Psychologie in Tübingen und Amherst, USA. 2014-2017 Doktorand in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Leipzig, 2017-2018 Psychologe am Helios Park-Klinik Leipzig, 2018 Promotion, 2018-2023 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Leipzig. 2019 Approbation zum Psychologischen Psychotherapeut (Verhaltenstherapie). Seit 2023 Juniorprofessor für Klinische Psychologie an der Universität Potsdam. 
Forschungsschwerpunkte: Experimentelle Emotions- und Psychopathologieforschung, Ekel, Scham, Zwangsstörungen, Soziale Angststörungen

Foto: ©Tobias Hopfgarten

Prof. Dr. Cornelia Exner

Prof. Dr. rer. nat. Cornelia Exner, geb. 1970. 1990-1996 Studium der Psychologie und der Neurowissenschaften in Leipzig, London und Göttingen, 1996-2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schwerpunkt Psychopathologie und Neuropsychologie der Psychiatrischen Universitätsklinik Göttingen; 2000 Promotion; 1997-2002 Verhaltenstherapieausbildung, Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin; 2004 Zertifizierung als Klinische Neuropsychologin, 2001-2009 wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich Psychologie der Uni Marburg, AG Klinische Psychologie und Psychotherapie, 2007 Habilitation, 2009-2011 Heisenberg-Stipendiatin. Seit 2011 Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Leipzig. 
Forschungsschwerpunkte: Neuropsychologie psychischer Störungen, psychische Störungen und psychotherapeutische Behandlungsansätze nach erworbenen Hirnschädigungen, Zwangsstörungen, metakognitive Behandlungsansätze
 

Foto: ©Marco Weidner, Fotostudio Stilmoment Erfurt