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Wie zielgerichtete Kommunikation gelingt

Ob Wundexpertin, Schmerzexperte oder zertifizierte Case Managerin, all diese Bezeichnungen suggerieren den anvertrauten Patientinnen und Patienten, dass sie in besonders geschulten Händen sind bzw. einer besonders qualifizierten Gesundheitsfachkraft gegenüberstehen. Doch was macht diese besondere Qualifikation und Persönlichkeit aus? Über welches Wissen muss zum Beispiel die Physiotherapeutin heute verfügen und welche Kompetenzen, also die Motivation, das Wissen anzuwenden und Entscheidungen zu verantworten, benötigt sie?

Von Prof. Dr. rer. med. Claudia Winkelmann.

 

Kommunikation Gruppe im Krankenhaus Pflege Team kommuniziert CanMEDs

Das CanMEDS-Rollenkonzept liefert eine Antwort

Das CanMEDS Framework wurde vor mehr als 20 Jahren als Canadian Medical Educational Directives for Specialists für die allgemeinmedizinische Ausbildung in Kanada entwickelt und später weltweit in der medizinischen Aus- und Weiterbildung, so auch als Grundlage für den Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) in Deutschland, etabliert. Dennoch ist es, wie eine aktuelle Befragung von Fachärzt*innen und Physiotherapeut*innen in Mitteldeutschland zeigt, unter den Berufsangehörigen nicht bekannt. Das Entwickeln von Fach- und Methodenkompetenzen steht häufig im Vordergrund, z. B. in Weiterbildungscurricula Manuelle Medizin und Therapie.

Das CanMEDS-Rollenkonzept berücksichtigt die Herausforderungen der Gesundheitsversorgung unter ganzheitlicher Betrachtung von bio-psycho-sozialer Gesundheit – und zwar sowohl der zu versorgenden Patient*innen und Klient*innen als auch der Care giver. Im Rahmen der Berufsausübung füllen diese verschiedene Rollen aus. Die Rollenbezeichnung Expert ist dann begründet, wenn sechs unterschiedliche Rollen bewusst und kompetent eingenommen werden können (s. Abb. 1). Das bedeutet, neben der Fach- und Methodenkompetenz sind soziale und personale Kompetenzen erforderlich. Die Pflegefachkraft ist beispielsweise Pflegende, Lehrende, Manager*in, Fürsprecher*in, Wissenschaftler*in und Selbstfürsorgende, dabei sind die mit den Rollen einhergehenden Tätigkeiten patienten- bzw. klientennah oder -fern. Um zu gelingender Gesundheitsversorgung beitragen zu können, sind insbesondere die Beziehungsgestaltung und Gesprächsführung, die Fähigkeit zur Teamarbeit, zur selbstständigen Organisation und Verantwortung der Zielerreichung, zum Teilen von Ergebnissen sowie zur Recherche und Auswertung wissenschaftlicher Publikationen sowie zur lebenszyklusorientierten, beruflichen Entwicklung notwendig. Diese hohen Anforderungen stehen auf einem Fundament von Persönlichkeitsmerkmalen und Haltungen, wie Respekt, Empathie, Neutralität und Unbestechlichkeit, die von Patient*innen, Klient*innen, Angehörigen, Mitarbeitenden, Kolleg*innen und Kooperationspartner*innen erwartet werden und nicht ausschließlich im Gesundheits- und Sozialbereich relevant sind, sondern generell das gesellschaftliche Zusammenleben gestalten.

Abbildung 1: Zusammenhang der Berufsrollen zur optimalen Gesundheitsversorgung

Die besondere Bedeutung der Rolle Communicator zur Beziehungsgestaltung

Fragt man Teams, potenzielle Mitarbeitende im Rahmen von Bewerbungsverfahren oder liest man in Bewertungsportalen von Kliniken oder Praxen: die optimale Versorgung von Patient*innen wird primär mit der fachlichen Kompetenz in Verbindung gebracht, obwohl diese nur selten konkret benannt wird. Manchmal wird sie damit verbunden, dass das Personal sehr aufmerksam war, sich Zeit genommen, zugehört hat und immer da war. Wertschätzung wünschen sich auch Mitarbeitende. Neben Fachweiterbildungen steht die wertschätzende Kommunikation von Vorgesetzten und der Teammitglieder untereinander ganz oben, wenn es um Arbeitszufriedenheit geht. Nicht selten sind Fehler in der Gesundheitsversorgung auf Kommunikationsfehler zurückzuführen. Diese können auch abrechnungsrelevant sein, wenn beispielsweise Leistungen nicht oder nur teilweise dokumentiert wurden. Fach- und Methodenkompetenz sind Grundvoraussetzungen für die Gesundheitsversorgung. Die optimale Versorgung auch über die verschiedenen Fachdisziplinen oder Sektoren (ambulant und stationär) hinweg, in einem komplexen System wie dem Gesundheitssystem und mit großer Verantwortung für die anvertrauten Patient*innen, Klient*innen und deren Angehörige verlangt jedoch hohe personale und soziale Kompetenzen zur Beziehungsgestaltung.

Diese Kompetenzen spiegeln sich unter anderem in der Rolle Kommunikator*in oder besser formuliert im Berufsrollenanteil der*des Kommunikators*in wider. 

Die Kompatibilität von Sender*in einer Botschaft und Empfänger*in einer Botschaft scheint trotz unseres heutzutage großen Wissens über Kommunikationsmodelle und –stile, über Verhaltenspsychologie und Lerntheorien nach wie vor DIE Herausforderung zu sein und ist eventuell zwischenmenschlich nie erreichbar. Die Auseinandersetzung damit und Reflexion darüber stellen einen wertvollen Prozess dar, der sich lohnt.

Er führt über sieben Phasen und startet insbesondere in Phase sieben mit der Rückkopplung neu (s. Abb. 2). In dieser Phase findet ein Wechsel statt. Die sendenden Person wird zur empfangenden Person. Wichtig ist, dass es sich um einen idealtypischen oder anders ausgedrückt stark vereinfachten Prozess handelt. Vergleichbar ist der Prozess mit einem Filmausschnitt, der in Zeitlupe abgespielt und jeweils in den Phasen 1 bis 7 angehalten wird. Das gewählte Modell eines Kommunikationsprozesses dient zur Strukturierung. Praktisch sind die Beziehungsgestaltung und Kommunikation dynamische Prozesse und laufen im ständigen Wechsel von Sender*in und Empfänger*in ab.

Phase 1 – Anstoß

Im hier zugrundeliegenden Modell eines vereinfachten Kommunikationsprozesses soll der Anstoß von der sendenden Person ausgehen. Diese wünscht, eine Information, einen Inhalt, eine Botschaft an den oder die empfangende Person oder Gruppe zu übermitteln, sich ihm oder ihnen mitzuteilen bzw. etwas zum Ausdruck zu bringen. Daher liegt die Verantwortung für den erfolgreichen Prozess zunächst bei der sendenden Person. In dieser Phase muss sie sich also bewusstmachen, wer sie ist, in welcher Rolle und mit welchem Hut sie die Botschaft senden möchte. Auch welche Gefühle mitschwingen, wenn die Person an die Gesprächssituation oder Gesprächspartner*innen denkt, ist wesentlich. Ebenfalls muss der sendenden Person klar sein, welche Absicht hinter der Botschaft steckt, welches Ziel sie damit verfolgt, was will die Person mit der Botschaft erreichen. Außerdem sollte die sendende Person Kenntnisse und Informationen über die empfangende Person(en) der Botschaft haben oder einholen. Die sendende Person kann auch unterschiedliche Ziele verfolgen und sich in den weiteren Phasen hierfür unterschiedlicher Mittel und Wege bedienen. Das deutet bereits darauf hin, dass die Kommunikation allein bei Betrachtung der sendenden Person sehr komplex sein kann.

Phase 2 – Bestandteile

Der erste Schritt der Kommunikation war das Angebot einer Person gegenüber einer anderen. Dabei ging es beispielsweise um eine Idee, Gedanken, Informationen, Gefühle oder Bedürfnisse, kurz eine Botschaft, die einer anderen Person auch als Teil einer Gruppe übermittelt werden soll. Die Bandbreite der Botschaft reicht von einfach bis komplex. Im nun folgenden Schritt geht es darum, die Botschaft zu konkretisieren, für die empfangende Person(en) aufzubereiten und zu verpacken. Um im Kommunikationsprozess bewusst eine Beziehung zu einer anderen Person aufbauen zu können, ist es notwendig, die Grundlagen der Kommunikation zu berücksichtigen. Wollen Sie mit Worten überzeugen und mit welchen genau, reicht eine Geste oder benötigen Sie zur Untermalung für Ihre Kommunikationspartner*in Filme, Bilder oder Tabellen? Um diese Frage zu beantworten, muss sich die sendende Person reflektieren, und auch in der Lage sein, sich in die Person oder Gruppe auf der empfangenden Seite hineinzuversetzen. 

Phase 3 – Verbindung

Die zu übermittelnde Botschaft ist der sendenden Person aus den beiden vorhergehenden Schritten klar. Nun geht es um die verschiedenen Optionen, die diese Person zur Verfügung hat, ihre Botschaft zu überbringen. Die Möglichkeiten richten sich nach der adressierten Person, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten zu kommunizieren. Durch den falschen Kanal kann die schönste Botschaft nicht bei der adressierten Person oder Gruppe ankommen. Dies setzt voraus, dass sich die sendende Person über die Möglichkeiten, die Bereitschaft und die Vorlieben informiert, die die adressierte Person oder Gruppe hat, um eine Botschaft aufzunehmen. Empathie ist gefragt und Wissen um Barrieren zwischen sendenden und adressierten Personen, um diese abzubauen. Es gilt also zu klären, was Sie unternehmen müssen, damit die Botschaft die Adressat*innen überhaupt erreicht. Hierzu ist auch die Selbstreflexion auf Seiten der sendenden Person oder Gruppe erforderlich.

Phase 4 – Empfang

In dieser Phase des vereinfacht dargestellten Kommunikationsprozesses geht die Verantwortung für die Beziehungsgestaltung stärker auf den oder die adressierte Person oder Gruppe über. Die Botschaft kommt jetzt bei der richtigen Person oder Gruppe an. Diese ist nun am Zug, die Botschaft anzunehmen. Hierfür muss die Person motiviert und bereit sein. Dazu kann die sendende Person bewusst oder unbewusst Reize einsetzen – beispielsweise eine E-Mail mit der Markierung dringlich versehen oder mit einem fett und rot markierten Ausrufezeichen, was neugierig machen könnte. Ebenfalls könnte eine spezielle Farbe des Plakathintergrundes oder der Kleidung gewählt werden. Pink zieht zum Beispiel unsere Aufmerksamkeit besonders an. In dieser Phase des Kommunikationsprozesses ist die empfangende Person gefordert, die Nachricht (quasi das Angebot der sendenden Person) anzunehmen. Um im Beispiel zu bleiben, jetzt muss die adressierte Person die E-Mail öffnen, um die eigentliche Botschaft erhalten zu können. Ein Post-it am leeren Kühlschrank im Personalaufenthaltsraum reicht also eher nicht aus, damit dieser befüllt wird.

Phase 5 – Würdigung

Die Botschaft ist in der vorhergehenden Phase bei der adressierten Person oder Gruppe angekommen. Sie hat sie zumindest körperlich erreicht. Die Person hat möglicherweise ein Verkehrszeichen gesehen, eine Aufforderung gehört, das Klappern von Geschirr registriert oder den Duft frischer Brötchen aus dem Servierwagen gerochen. Nun ist es an ihr, diese Informationen bewusst oder unbewusst zu deuten und in den Kontext einzuordnen. Hierzu greift die Person auf ihr Wissen, ihre Vorerfahrungen, ihre Vermutungen und ihre Interessen zurück: Welchen Sinn hat die Aufforderung und geht es mir danach besser? Frische Brötchen sind lecker und erinnern mich (Patient*in) an den schön gedeckten Frühstückstisch zu Hause: Entspannung pur und Wohlgefühl. Was ist das überhaupt für ein Verkehrszeichen? Mit der Übersetzung (auch Decodierung, Deutung) und Einordnung der Botschaft in die Welt der empfangenden Person wird die Reaktion auf die Botschaft vorbereitet. Auch hier gilt: Das Spektrum der Decodierung ist sehr weit und sehr individuell. Nichts kann ausgeschlossen werden bzw. alles ist möglich und kann passieren. Gruppen (z. B. Projektteams, der Sportverein, Mitglieder einer Fachgesellschaft und die jeweiligen formellen oder informellen Ordnungen) und verabredete Regeln helfen uns, diese Beliebigkeit zu reduzieren und geben uns im gesellschaftlichen Miteinander Sicherheit.

Phase 6 – Reaktion

Nachdem die empfangende Person die Botschaft gedeutet, interpretiert, decodiert und in den Kontext, die Situation eingeordnet hat, kann sie nun auf verschiedene Weise damit  umgehen. In jedem Fall reagiert sie auf die Botschaft, selbst wenn sie dazu schweigt oder die Botschaft scheinbar ignoriert. Diese Tatsache ist sehr wesentlich für die Kommunikation. Kommunikation ist kein Selbstzweck, sondern dient im gesellschaftlichen Miteinander zur Gestaltung von Beziehungen zu anderen Personen. Diese Gestaltung kann Nähe, Tiefe, Distanz, Oberflächlichkeit und weiteres umfassen. Mit der Reaktion wählt die Person oder Gruppe den Weg, den sie in der Situation und unter Würdigung aller Bedingungen für den besten hält. Sie kann also einer Aufforderung direkt nachkommen oder nicht, sie hinterfragen oder zurückgeben. Patient*innen können sich vom Duftmarketing „an der Nase herumführen“ lassen, das Klinikbett verlassen und sich das Frühstück vom Servierwagen holen. Sie können aber auch liegen bleiben und Zimmernachbar*innen bitten. Das Verkehrszeichen zur Geschwindigkeitsbegrenzung, die rote Ampel oder die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr können als nett gemeinte Empfehlung interpretiert und dementsprechend nicht umgesetzt werden.

Phase 7 – Rückkopplung

In der letzten Phase dieses vereinfacht dargestellten Kommunikationsprozesses ist der Ball wieder bei der Person, die die Botschaft ursprünglich gesendet hatte. Die empfangende Person hat auf die Botschaft reagiert. Die sendende Person ist nun aufgefordert zu reflektieren, ob die gesendete Botschaft zur gewünschten Reaktion geführt hat oder nicht. Falls ja und falls nein gilt es festzuhalten, was dazu geführt hat. War sie klar? Hat sie sich vor Abgabe der Botschaft bereits Gedanken zum und um die adressierte Person oder Gruppe gemacht, um die Botschaft ganz speziell für sie zu formulieren und das richtige Medium, den richtigen Kanal zu nutzen? Aus diesen Erfahrungen und dem Umgang mit der Reaktion kann die sendende Person oder Gruppe lernen und beispielsweise einen optimierten nächsten Prozess anstoßen (Phase 1 - Anstoß).

„Zielgerichtete Kommunikation – Von A wie Anstoß bis Z wie Zwei-Spalten-Methode“

ist eine Einladung, sich als Kommunikationspartner*in in den abwechselnden Rollen als Sender*in und Empfänger*in von Botschaften zu begreifen, zu reflektieren und persönlich weiterzuentwickeln. Dies ist insbesondere in der enormen Verantwortung als aktiv Mitwirkende in der Gesundheitsversorgung und der Beziehungsgestaltung mit Patient*innen, Angehörigen und anderen Akteur*innen im Gesundheitswesen wichtig. Wir kommunizieren immer und in diesem Zusammenhang kann das Funktionieren unserer Gesellschaft auch auf das Funktionieren von Kommunikation zurückgeführt werden. Kommunikation ist fester Bestandteil unseres gesamten Lebens. In diesem Buch werden die Elemente von Kommunikation besonders herausgearbeitet, die praktischen Bezug zu Aspekten wie Gesprächsführung mit Patient*innen, Angehörigen und Mitarbeitenden, Projektmanagement, Praxis- und Klinik-Marketing und Verhandlungsführung haben. Ein Transfer auf beispielsweise die private Lebenswelt ist selbstverständlich möglich.

Prof. Dr. Claudia Winkelmann

Prof. Dr. Claudia Winkelmann ist Schwerpunktprofessorin für Qualitätsgesicherte Strukturentwicklung in Studium und Lehre mit Wissenschaftlicher Gesamtleitung des Bereichs Weiterbildung sowie Professorin für Betriebswirtschaft und Management im Gesundheits- und Sozialwesen an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Davor war sie Studiendekanin an der staatlichen Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sie forscht unter anderem in vom BMBF geförderten Projekten zur Stärkung des Sozialunternehmertums und zur Zukunft der Arbeit. Als Physiotherapeutin und Führungskraft war sie in verschiedenen Universitätsklinika tätig. Sie engagiert sich in Fachgesellschaften, ist Gutachterin und wissenschaftliche Beirätin diverser Fachjournals und Verlage.